Ein Blick auf 850 Jahre Familiengeschichte

HOHENSTAUFEN UND WELFEN 1163-1253

Die Herren und Grafen v. Alvensleben gehören zum Uradel der nieder­sächsischen Hochstifter Halberstadt und Magdeburg. Der erste nachgewiesene Alvensleben ist Wichard, der 1163 erstmalig in den Urkunden erscheint und sich spätestens seit 1175 nach der bischöflich-halberstädtischen Burg Alvensleben bei Haldensleben nennt, deren Burgvogt er vermutlich war.

Eine gesicherte Stammreihe beginnt mit Gebhard I. (urk. 1190-1216), der als Stadtpräfekt von Halberstadt und als Truchsess des Bischofs erscheint. Er wird auch als der Erbauer einer Burg in Alvensleben genannt. Seine Nachkommen vereinigen ebenso diese Ämter in ihrer Hand und zählen zu den Ministerialen, die damals Beamtenschaft und Gefolge von Landes­herren bildeten, in diesem Fall mit dem Recht, die Bischöfe mit zu wählen. Auch besaßen sie Einfluss auf deren Regierung und erhielten Dienstgüter, die mit der Zeit zu erblichen Lehen wurden.

Als Truchsesse Träger des höchsten Amtes, hatten die Alvensleben Vogteien und Meierhöfe, die Ablieferung der Materialien und das fürstliche Tafelwesen unter sich. Stadtpräfekten wurden vom Bischof als Ober­richter des Stadtgerichts eingesetzt. Vögte von Landesburgen wie Alvensleben waren in einem größeren Bezirk für Verteidigung, Verwaltung und Rechtsprechung verantwortlich. Zur Hohenstaufenzeit lagen die bereits recht umfangreichen Dienstgüter des Truchsessgeschlechts um Alvensleben selbst, wie auch um Halber­stadt, Oschersleben und am Nordrand des Harzes.

Das Bistum Halberstadt, Gründung der ersten Karolinger, erlebte im 12. und 13. Jahrhundert seine spannungsreichste Epoche. Seit den Tagen Ottos des Großen, der von hier aus das Erzstift  Magdeburg und die Grenzbistümer östlich von Elbe und Saale ins Leben gerufen hatte, stand Halberstadt, von Residenzen der Sachsen­kaiser und Salier wie von vielen Klöstern umgeben, im Mittelpunkt der Reichs­politik. In den Kämpfen der Welfen und Hohenstaufen (1176-1214), die unter Kaiser Friedrich Barbarossa ausbrachen, hielten die Halberstädter Bischöfe zu den Staufern, was 1179 zur Zerstörung der Stadt durch Heinrich den Löwen führte. Mit ihrer Ritterschaft schlossen sich die Bischöfe den Kreuzzügen an (1196 und 1202-1204).

In zahlreichen Urkunden lässt sich das Schicksal der Alvensleben in diesem klassischen Bereich mittelalterlicher Geschichte genau verfolgen. Sie erwarben die Ritterwürde, nahmen an Kreuzzügen, Kriegen, bischöflichen Reisen, ob nach Rom oder Frankreich, und den großen Feiern in Magdeburg teil, sie zogen zur Kolonisation Pommerns aus oder wurden Geistliche. Einer stiftete sein Vermögen zum Bau des Halberstädter Domes.

Eine Tochter, die erste von vielen, die diese Würde in verschiedenen Abteien erlangen sollten, starb als Äbtissin des dortigen Zisterzienser-Nonnenklosters St. Burchard. Soweit es sich übersehen lässt, dienten vor 1270 die Burgen in Alvensleben, Schlanstedt, Emersleben, Hakenstedt und der Truchsesshof in Halberstadt als Wohnsitze des Geschlechts.

AUSBREITUNG DES GESCHLECHTS 1253-1411

Bald nach dem Untergang der Hohenstaufen 1253 traten Wirren ein, die die Burg Alvensleben und das umliegende, zugleich von den brandenburgischen Mark­grafen umstrittene Halberstädter Gebiet an das Erzbistum Magdeburg gelangen ließen. Im Zusammenhang mit diesen Ereignissen erwarben die Alvensleben um 1270, unter der Regierung Rudolfs von Habsburg, die nahe Burg Erxleben und trugen sie mitsamt den Dörfern des dazugehörigen „Gerichts“ den askanischen Markgrafen von Brandenburg freiwillig als Lehen an. Damit taten sie den für ihre geschichtliche Zukunft entscheidenden Schritt. Dem Haus Alvensleben, das in den Urkunden nun zunächst an der Spitze der Ritter­schaft auftrat, wurde als Verwaltungsbezirk Arneburg an der Elbe anvertraut, die größte Vogtei der Mark, einer der landesherrlichen Sitze, von Kaiser Otto III. bis zum Kurfürsten Johann Cicero in Krieg und Frieden zeitweilig als Residenz bewohnt.

Durch Jahrhunderte bildeten Burg und Gericht Erxleben ein exponiertes Boll­werk Brandenburgs, umgrenzt von fremden Hoheitsgebieten, am Schnittpunkt von Heerstraßen, ein Kreuzweg aller  Kriege, die die Region heimgesucht haben. Hier kam es vor 1300 zur heute noch bestehenden Teilung der Linien der Familie. Die Roten Alvens­leben behielten Erxleben und setzten sich in der Folge auf der magdeburgischen Elbveste Rogätz, auf der braunschweigischen Burg Calvörde an der Ohre und dem später hohenzollernschen Jagdschloß Letzlingen in der Altmark fest. Die Weiße Linie erwarb von den Markgrafen aus dem Hause Wittelsbach 1343 Burg und Amt Klötze, ein Objekt jahrhundertelanger Grenzstreitigkeiten mit den lüneburgischen Welfenherzögen, ferner 1378 als Pfandbesitz die 1440  als Erblehen anerkannte Askanierburg Gardelegen, in späteren Urkunden als „Isenschnibbe“ bezeichnet. Die landesherrliche Burgward Calbe an der Milde, durch die Schwarzen Alvens­leben 1324, kurz nach dem Aussterben der askanischen Markgrafen, käuflich er­worben, wurde ihnen von Anbeginn, zunächst durch die Welfen, dann durch die brandenburgischen Wittelsbacher als erbliches Lehen bestätigt. Solche Territorien setzten sich aus Burgen, Städten, Dörfern, Dorfanteilen, kleineren Edelsitzen, Waldungen, Fluss- und Straßenzöllen, Gerichtshoheit, Gerechtsamen und Zubehör verschiedener Art zusammen. Erxleben, Calbe und Gardelegen zählten zu den Hauptvesten der Altmark, der Urzelle des brandenburg-preußischen Staates.

Lehnsbesitz vormaliger Landesburgen, ob Erb- oder Pfandlehen, erhob die Lehnsträger in den Rang von „Schlossgesessenen“, die in norddeutschen Ländern wie Brandenburg und Pommern einer Art  Herrenkurie angehörten, wie sie auch in Ostpreußen, Böhmen, Polen und anderen Gebieten bis in das 18. Jahrhundert existierte. Innerhalb des Ministerialadels bildeten solche Geschlechter eine als Stand fest umgrenzte und mit bestimmten Rechten ausgestattete Oberschicht, was bis in das 18. Jahrhundert auch in den Eheschließungen zum Ausdruck kam. Sie allein unterstanden gerichtlich unmittelbar dem Landesherrn. In der Altmark gehörten ihrer sieben dazu, die Schulenburg, Alvensleben, Bartensleben, Knesebeck, Jagow, Bismarck, Schenck v. Flechtingen. Als Landeshauptleute, Minister, Diplo­maten, Kriegsoberste, Geschäftsleute großen Stils, als Organisatoren und Bauherren stellten sie repräsentative Vorkämpfer des Standes. Der Landeshauptmann vertrat im Mittelalter den regierenden Herrn in allen Angelegenheiten. Er führte die Auf­sicht über sämtliche Obrigkeiten und Gerichtshöfe. Als Haupt der Ritterschaft zog er an ihrer Spitze ins Feld. Gegen hohe Darlehen erhielten vermögende Ritter­geschlechter Landesburgen mit Herrschaft, Hoheitsrechten und Einkünften oft für mehrere Generationen als Pfand überwiesen, eine in Mitteldeutschland seit dem 13. Jahrhundert übliche Form ländlicher Lokalverwaltung. Den Häusern Erxleben, Calbe und Neugattersleben gelang es vom 14. bis zum 17. Jahrhundert, umfangreiche Pfandschaften im Raum von Mecklenburg bis Obersachsen, von der Mittel­mark bis Braunschweig zu erwerben.

Die Verlehnung des Bodens durch die Territorialherren war zu damaliger Zeit die übliche Wirtschaftsform. Wie ihre Fürsten verlehnten auch die großen Lehnsträger ihr Land. Das Haus Calbe allein war in der Lage, an neun Adelsgeschlechter, die ihrerseits kleine Burgen bewohnten, Unterlehen auszuteilen und sie zur Gefolgschaft zu verpflichten. Ähnliche Verhältnisse bestanden in Erxleben, Gardelegen, Hundisburg und den großen Pfandherrschaften. Kein Wunder, dass die Lehnsbesitze jahrhundertelang in der Hand derselben Familie blieben. Bei jedem Todesfall, ob des Landes­herrn oder des Lehnsträgers, musste um Neubelehnung nachgesucht werden, was praktisch Formsache war. Versäumnisse in dieser Hinsicht bezeichnete man als Lehnsfehler, die den Verlust altererbter Lehnsgüter nach sich ziehen konnten. Wichtig wurde für die Alvensleben, dass es ihnen gelang, für alle ihre Besitzungen von den verschiedenen Landesherren die „Belehnung zur gesamten Hand“ zu erwirken. Diese Güter konnten, sofern keine Lehnsfehler vorlagen, nicht eingezogen werden, bevor der Mannesstamm in sämtlichen Linien ausgestorben war. Aus Erxleben stammte Friedrich v. Alvensleben (urk. 1301-1312), der letzte Meister des Templer­ordens „in den deutschen und slavischen Ländern“ (um 1300). Im 14. Jahrhundert sicherten Gardeleger Burgherren als Vögte die Neumark, wo sie von den Wittelsbachern mit der Grenzburg Schwachenwalde belehnt wurden. Komture und Herrenmeister der Johanniter und des Deutschritterordens, Geistliche, Klosterfrauen, Krieger unter den verschiedensten Fahnen gingen aus den Reihen des Geschlechts hervor. Un­abhängig von den Landesfürsten schloss man Verträge mit auswärtigen Herrschern wie den Königen von Dänemark (1314-16). Das Haus vereinigte zeitweilig die Ämter des Erbmarschalls der Mark Brandenburg, des Erbschenken im Erzbistum Magdeburg, des Erbtruchsess von Halberstadt. In Salzwedel besaßen die Herren zu Calbe 1324-1434 ein Münzrecht.

Niemals gestaltete sich die Verbindung der märkischen Ritterschaft zum Reichs­oberhaupt enger als unter Kaiser Karl IV. (1346-1378), der dem Gebiet seiner brandenburgischen Hausmacht glänzende Perspektiven eröffnete und ihr kurze Jahre eines Aufschwungs bescherte, wie die Mark ihn niemals wieder erleben sollte. Unter den böhmisch-luxemburgischen Herrschern, die die brandenburgischen Schlossgesessenen in ihrem sozialen Rang „dem böhmischen Herrenstande gleich­ achteten“, hatten die Alvensleben als Landeshauptleute der Altmark, als Vögte der Neumark und brandenburgische Räte Anteil an der Verwaltung. Gebhard XI. schirmte als Burgvogt die landesherrliche Hauptresidenz Tangermünde. Wenn Kaiser Sigismund zwei Brüder Alvensleben mit der gesamten Gerichtsbarkeit der Mark Brandenburg belehnte, so werden, wie bei der Einsetzung der Hohenzollern als Markgrafen,  Finanzfragen mitgesprochen haben.

SPÄTES MITTELALTER

Mit den Hohenzollern, die 1411 zunächst als Pfandherren berufen wurden und 1415 mit dem dauernden Besitz der Mark die Kurwürde erlangten, begann Brandenburgs Aufstieg zur norddeutschen Vormacht. Die Alvensleben, gewohnt an Fürsten und Städte ständig Geld auszuleihen, griffen den neuen Landesherren von Anbeginn mit großen Summen unter die Arme. Der Versuch, es mit den einstigen Burg­grafen von Nürnberg auf Machtkämpfe ankommen zu lassen, wäre aussichtslos gewesen, denn niemals hätte ein Geschlecht des vormaligen Ministerialadels die Autorität über seinesgleichen erlangt. So blieben Einfluss und Machtstellung der Familie, die sowohl der Ausdehnung ihrer Lehnsherrschaften wie der geistigen Begabung einzelner Männer zu danken waren, unter der neuen Dynastie erhalten. Das 15. Jahrhundert brachte weiter bedeutenden Zuwachs an Lehnsbesitz, darunter Gardelegen, Hundisburg, Eichenbarleben und als Pfandlehen die Grafschaft Lüchow, während andererseits Kernstücke älterer Lehen zeitweilig verpfändet werden mussten. Die Inhaber von Calbe begründeten 1420-1460 ringsum eine Anzahl neuer befestigter Sitze (Curiae), keine eigentlichen Burgen: Zichtau, Vienau, Berge, Schenkenhorst und Groß-Engersen. Lehnsherren der Alvensleben waren im 15. Jahrhundert und später neben den Kurfürsten von  Brandenburg die Hoch­stifter Halberstadt und Magdeburg, die Herzöge von Sachsen, Braunschweig und Mecklenburg, die Könige von Dänemark als Rechtsnachfolger der Grafen von Schauenburg-Holstein, die Fürsten von Anhalt, die Grafen von Barby und Regen­stein, die Abteien Quedlinburg, Königslutter und Gandersheim. Dem Zuwachs standen umfangreiche Schenkungen an Kirchen, Klöster, die Ritterorden der Johanniter und Deutschherren gegenüber, meist Stiftungen „zum Seelgeräth“.

Was unter den Hohenzollern, landläufigen Darstellungen entgegen, nicht besser wurde als vorher, waren die Schädigungen des Landes durch das Fehdewesen. „Ehrlich angesagte Fehden“ mit Fürsten und Städten entstanden in der Regel dadurch, dass man sie im Interesse von Verwandten und Verbündeten einging, wenn Rechte und Forderungen auf friedlichem Wege geltend zu machen sich als aussichtslos erwies. Wurden die für das Fehdewesen statuierten Vorschriften verletzt, konnten gerichtliche Nachspiele, Gefangenschaft, ja selbst Exkommunikationen und Hinrichtungen die Folge sein.

In dieser rauen Zeit, während Seuchen wüteten und ganze Dörfer entvölkerten, sah man gleichzeitig Ordnungstendenzen am Werk. Seit 1479 traten die Vettern Alvensleben in Calbe jährlich zur Beratung von Lehnsfragen zusammen, der Beginn der Familientage, die – mit Unterbrechungen – bis heute gehalten werden. Die Stärke eines solchen Lehnsverbandes beruhte auf dem festen, gut organisierten und funktionierenden Familienzusammenhang, der auch notwendig war, da alle lehnsfähigen Mitglieder, zur gesamten Hand belehnt, an den Kondominaten beteiligt waren.

Mit scharf profilierten Gestalten stand das Haus Calbe jetzt im Vordergrund: dem durch ein Denkmal in der zerstörten Berliner Siegesallee ausgezeichneten Obermar­schall der Kurfürsten Friedrich Eisenzahn und Johann Cicero (urk. 1441-1495), ferner einem Herren­meister des Johanniterordens (1416-1429) und zwei Bischöfen von Havelberg (1468-1548), alle Busso mit Vornamen. Die Hohenzollern verliehen Burg­herren und -frauen zu Calbe und Gardelegen ihren Schwanenorden und ehrten sie anlässlich der letzten zeremoniellen Ritterspiele.

Über Besitz- und Obrigkeitsverhältnisse, Kirchenordnung und Rechtspflege sind, zumal für die Herrschaft Calbe, Nachrichten reichlich vorhanden, die Licht auf ähnlich gelagerte Verhältnisse in  Mitteldeutschland vor 1500 werfen. Hier hatten die Burgherren vollinhaltliche Regierungsgewalt, wie sie die süddeutsche Reichs­ritterschaft besaß. Das ihnen zustehende „Hohe Gericht“ entschied über „Erb und Eigen, Hals und Hand“. Viermal im Jahr wurden auf „Dingstätten“ Kriminal­fälle abgeurteilt. Die häufiger tagenden Niedergerichte befassten sich mit Zivil­gerichtsbarkeit, Polizei, Erb- und Zinsrecht. Mit der Rechtsprechung wurden Fachjuristen beauftragt. Frondienste der Bauern an einer bestimmten Anzahl von Tagen waren die Gegenleistung für Verteidigung gegen Gewalt und Unrecht. Für Bürger und Bauern gab es einen wirksamen Beschwerdeweg. Zölle erhob man für die Instandhaltung von Verkehrsstraßen, Dämmen, Brücken und Flussläufen. Ein Burgfriedensvertrag regelte die gemeinsame Erhaltung und Verteidigung der Befestigungsanlagen. Die durch Jahrhunderte geführten „Hausbücher“ geben Einblick in Zustände und geschichtliche Ereignisse.

Ähnlich wie in Klöstern spielte sich das Leben auf der Burg in streng geregelten Formen ab. Die „Calbesche Kirchenordnung“ schrieb für die Burg tägliche Gottesdienste, Feiertage, Prozessionen und Wallfahrten vor. Bereits im 15. Jahrhundert besaß die Schlosskapelle eine Orgel, dazu einen Kirchenschatz, der – 1773 noch vorhanden – kostbare Monstranzen, edelsteinbesetzte Kreuze, Kelche und Re­liquienbehälter enthielt. Seit Aufhebung der Wallfahrten nach Bismark, einer der zur Herrschaft gehörenden Mediatstädte, bewahrte die Burgkapelle zu Calbe bis zur Reformation jenes heilige Kreuz, das der Sage nach in Bismark vom Himmel gefallen war und nach dem sie  „Heiligkreuzkapelle“ genannt wurde. Während sich die Burgherren von Erxleben seit dem 13. Jahrhundert in der Zisterzienser­abtei Mariental bei Helmstedt beisetzen ließen, fanden jene von Calbe und Garde­legen vom 14.-16. Jahrhundert ihre Grabstätte im Zisterzienser-Nonnenkloster Neuendorf bei Gardelegen, wo eine Reihe von Reliefsteinen, kurz nach 1324 be­ginnend, an sie erinnert. Durch Schenkung ganzer Dörfer wurde das Beisetzungsrecht in diesen Abteien erkauft. Neuendorf galt ausschließlich als „Hauskloster“ der Alvensleben. Die Reformation führte später zur Preisgabe der „für  ewige Zeiten“ erworbenen Rechte an den geheiligten Grabstätten, an deren Stelle für die Zukunft Grüfte in Schlosskapellen und Patronatskirchen traten, die in einigen Fällen wie in Erxleben bis 1945 die Särge aufnahmen. Erst ab 1790 begann da­neben die Erdbestattung auf Erbbegräbnissen.

Um bei dem Sagenschatz zu verweilen: auch eine Ringsage ist an Calbe ge­knüpft. Die Burgfrau, bei Nacht gerufen, um einer „unterirdisch kreissenden Zwergin“ Hilfe zu leisten, habe zum Dank von einer abermals zur Nachtzeit auf­tauchenden Gestalt einen Ring erhalten, mit dem Gebot: ,,so lange derselbige unzertheilet bei dem Geschlechte bleibe, werde es blühen. Käme der Ring aber von Händen, solle es ihm unglücklich ergehen“. Dennoch, fährt der Bericht fort, teilten drei Brüder – die Begründer der Hauptlinien – den Ring. Die Rote Linie entledigte sich frevlerisch des ihren in Rogätz und ging zugrunde. Die Weiße, von der Gefahr auszusterben ständig bedroht, schmolz ihren Ring ein und ver­goldete damit einen noch vorhandenen Abendmahlskelch von 1403. Nur die lebens­kräftige Schwarze Linie bewahrte ihren goldenen Reif , an den sich die Ursage knüpft. Durch Jahrhunderte in Calbe, später in Erxleben aufgehoben, zu Kriegs­zeiten auch in Klöstern und Kirchen, befindet er sich heute in der Obhut des Domstifts zu Brandenburg. Diese Legende gehört zu einem Kreis gleichartiger Sagen, der auf uraltes Geistesgut zurückgeht. Ihren magischen Ring haben die Alvensleben allezeit als verpflichtendes Symbol betrachtet. Zur Ringsage gehört der mittelalterliche Wappenspruch, mit dessen Deutung sich die Forschung immer wieder auseinandersetzt:

„Stryde, lyde, myde, Vorworde, vorhorde, vorborde“.

Die überzeugendste unter den hochdeutschen Übertragungen lautet:
„Streite, leide, meide, für das gegebene Wort, für den Hort des Überlieferten, für die angestammte Erde“.

Die Sage von der goldenen Wiege, die bei Rettung eines Kindes vor feindlichem Überfall in den Schlossgraben fiel, und die mythischen Berichte von auf der Burg vergrabenen Kronen und Schätzen deuten auf das Versinken von Reichtum und Macht. Tieferen Bereichen des Volksglaubens entsprang das von Cyriacus Edinus 1581 aufgezeichnete „Mirabile de campana“, das Calbische Memento mori: ,,Von Geisterhand bewegt, ließ eine Glocke in der Burgkapelle zum Heiligen Kreuz ihre Stimme zur Stunde ertönen, wenn ein Mitglied des Hauses vom Tode gerufen wurde, selbst wenn der Sterbende in fernen Landen weilte“. Eine Volkssage befasste sich mit dem Alvenslebenschen Anteil an der Gerichtsbarkeit über die Stadt Garde­legen: ein Stadttor in Richtung Burg musste ständig offengehalten werden, bis der Magistrat die Schließung mit Hilfe einer Wette erreichte.

In der eisernen Truhe, die den Ring barg, besaßen die Alvensleben ihre Bundes­lade, in ihren Mythen, Testamenten und Verträgen die eigenen Gesetzestafeln, – ein geistiges Fundament, das über die Jahrhunderte die Familie zusammengehalten und Ursache ihres geschichtlichen Gedächtnisses, der Kontinuität, ist.

HUMANISMUS UND REFORMATION

KDer Geist des Mittelalters erlosch in einem langen Prozess der Verwandlung, doch hat das Absterben des Rittertums im 15. Jahr­hundert auf Grund veränderter Waffentechnik nicht auch zum Ende der ritterlichen Geschlechter geführt. Was nicht starb, war der ritterliche Gedanke, wiewohl unter dem Einfluss des Humanismus Lebensinhalte ganz neuer Art das Interesse beherrschten. Um die Mitte des 15. Jahrhunderts setzte für Mitteldeutschland die Übernahme der italienischen Renaissance mit ihren umwälzenden Folgen ein. Seit 1312 sind Immatrikulationen von Söhnen des Familienkreises an Auslands­universitäten bekannt, doch handelt es sich um Einzelfälle. Etwa seit 1450 bezogen die Alvensleben in größerer Zahl deutsche wie auswärtige Universitäten, darunter vorzugsweise Bologna, Padua, Paris, Orléans, Leyden und Prag, mit dem Ziel, sich für den Staatsdienst vorzubereiten oder allein, um die Vorteile höherer geistiger Kul­tur zu gewinnen. Gleichzeitig begannen jene über Jahre ausgedehnten „Kavaliers­reisen“, die dem Lebensstil für Jahrhunderte die Signatur gaben. Man unternahm sie, um sich an Höfen einführen zu lassen, die Kulturzentren Europas kennen zu lernen, ihre Lebensart zu studieren, eine Gewohnheit, die erst im 18. Jahrhundert außer Übung geriet. Als Resultat erwartete man von jungen Edelleuten Perfektion in ritterlichen Spielen, Jagd, Tanzen und Reiten, Vertrautheit mit allem Waffenhandwerk, hohe Bildung, Selbstbeherrschung, Grandezza in Haltung und Form. Sie mussten die wichtigsten alten und neuen Sprachen verstehen, in Kunst und Literatur eigenes Urteil haben. Neben Kraft und Gewandtheit kam es auf Anmut und geselligen Anstand an.

Auch der Krieg galt als hohe Schule des Umgangs mit der großen Welt. Söhne nahmen nach 1500 an Reichskriegen teil, in Italien, Frankreich, den Niederlanden oder in Südosteuropa gegen die Türken, was man – wie einst die Kreuzzüge – als heilige Pflicht betrachtete. Die alte Lehnskriegsverfassung existierte nicht mehr. Man diente der Republik Venedig, half den französischen Königen ihre Krone sichern, den Niederländern die Freiheit erkämpfen, den Hugenotten ihren Glauben verteidigen. Viele fanden im Felde den Tod, Andere mussten gegen hohes Lösegeld aus Gefangenschaft befreit werden. Als Söldnerführer warben Einzelne ganze Regimenter von Landsknechten, wie ein Alvensleben es für Kaiser Maximilian tat.

Das anbrechende Zeitalter der Wandlungen des Weltbildes wie der Glaubens­spaltung traf auf eine in der „Idee des großen Menschen“ erstarkte, geistig wohl­gerüstete Generation, was sich zunächst auf wirtschaftlichem und politischem Gebiet zeigte. Während das mittelalterliche Städtewesen im 16. Jahrhundert zurückging, kamen Fürsten und Adel in Mitteldeutschland stärker zum Zuge. Geordnete Finanzwirtschaft, gute Haushaltung, rationelle Ausnutzung wirtschaft­licher Einnahmequellen ermöglichte es großen Lehnsträgern, komplizierte Ge­schäfte mit erheblichen Umsätzen abzuschließen. Aus Silberbergbau und Salz­gewinnung auf eigenem Grund und Boden, wie aus Großhandel mit den Produkten einer hier bereits hochentwickelten Landwirtschaft, die zum Teil ab Magdeburg verschifft wurden, leitete sich die anwachsende Kapitalkraft her. Nach 1500 wurden nicht allein verpfändete Teile des Familienbesitzes wieder eingelöst, sondern neue Pfandschaften von Bedeutung dazu erworben. Nach alter Sitte verwalteten die Herren verantwortungsvolle öffentliche Ämter. Auch Frauen entfalteten wirt­schaftliche Talente. Eine Hundisburger Burgfrau pachtete die Viehhaltung auf Gütern ihres Mannes und verdiente damit ein Vermögen. An der Steigerung des Wohlstandes nahmen alle Volkskreise teil. Daher gab es in diesen Ländern auch keine Bauernrevolten. Ein glückliches Zeitalter schien anzubrechen.

Da zerstörte die kirchliche Reformation, verhängnisvoll für das deutsche Schicksal, die Einheit des christlichen Glaubens. Wiewohl Luthers Wort in seiner magischen Gewalt als befreiende Offenbarung wirkte und nicht nur die Länder nördlich der Alpen zunächst weithin mit sich fortriss, zeigte sich das konservative Element im engeren Ursprungsland des Luthertums keineswegs durchweg bereit, die „gereinigte Lehre“ ohne weiteres zu übernehmen. Wo Kämpfe um deren Be­jahung oder Ablehnung entbrannten, handelte es sich gewöhnlich um eine Frage der Generation. In der katholischen Hierarchie durch zwei Bischöfe, die den Havelberger Stuhl kurz nacheinander besetzten, wie durch Äbtissinnen und Priorinnen in mehreren Klöstern damals wirksam vertreten, gehörten die Alvensleben begreif­licherweise zu den Letzten, die sich zu Luther bekannten, um sich dann allerdings an der kirchlichen Neuordnung maßgebend zu beteiligen. Frauen blieben am längsten katholisch. Was die de facto erst allmählich sich vollziehende Trennung von der Mutterkirche religiös bedeutete,  was als Verlust oder Gewinn zu betrachten ist, ließ sich damals wie heute nur persönlich entscheiden. Politisch führte der Bruch zur Lösung von den geschichtlichen Mächten, mit denen man seit Anbeginn zusammengehörte, vom Kaiserhaus und der Reichspolitik, von alten Aufgaben und Rechten. Zerstörung der Ordnung von Schulwesen, Sozialfürsorge, Kulturpflege und anderen entscheidenden Dingen war die Folge. Eine fortschreitende Säkularisierung begann. Der Zugang zum geistlichen Stand blieb der evangelischen Ritterschaft für lange Zeit verschlossen.

So lag es nahe, dass das Haus Erxleben, der römischen Kirche eng verbunden, zunächst energische Maßnahmen gegen das Eindringen des Luthertums traf. Im Schmalkaldischen Krieg focht der Rogätzer Herr auf kaiserlicher Seite. Bischof Busso II. von Havelberg (1485-1548) in seinen Vorzügen und Fehlern eine Renaissancenatur, trug entscheidend zum Festhalten am alten Glauben bei. Als magdeburgischer Diplomat  hatte er vormals für den späteren Kardinal Albrecht von Brandenburg die Bestätigung als Erzbischof von Magdeburg und  Mainz er­wirkt, wodurch gegen allen Brauch höchste Reichswürden und die größte Macht, die bis dahin ein deutscher Prälat besessen hatte, in Albrechts  Hand vereinigt wurden. Auf Anraten Papst Leos X. inszenierten Busso und seine Mitbeauftragten, um die Kosten zu decken, jenen Ablasshandel, der 1517 Luthers Wittenberger Thesen­anschlag auslöste. Als erzbischöflicher Statthalter ließ er die Magdeburger Domtürme vollenden. Bischof geworden, wählte er die Erzieher der Söhne des Geschlechts und empfahl einige der begabtesten an den durch seine Kunstpflege berühmten Hof Kardinal Albrechts, wo sie es zu Rang und Würden brachten. Bussos bevorzugte Residenzen waren Burg Wittstock und die Plattenburg in der Prignitz. Durch Kaiser Karl V. unterstützt, vermochte Busso als letzter Bischof seiner Diözese, die bis an die Ostsee reichte, ein „propugnator acerrimus Romanae Ecclesiae“, zeitlebens seine Überzeugung zu verteidigen. Erst nach seinem Tod 1548 wurden alle kirchlichen Einrichtungen Kurbrandenburgs rechts­widrig aufgelöst oder verstaatlicht.

Im Magdeburgischen, wo die konfessionelle Entscheidung lag, gaben politische Gesichtspunkte den Ausschlag. Man wartete ab, bis die evangelische Sache auch militärisch zum Sieg geführt hatte. Kurz  nach dem Schmalkaldischen Krieg, der für Karl V. und die katholische Partei erfolgreich ausging, leistete Magdeburg, „Unseres  Herrgotts Kanzlei“, jenen Widerstand, der Europa aufblicken ließ, mit dem Ergebnis, dass das Land an der mittleren Elbe für die Zukunft evangelisch blieb. Damit wurde für Ritterschaft und Domkapitel die Frage entschieden. Als weltliches Herzogtum bestand das Erzstift weiter bis 1680.

Eine denkwürdige Gestalt dieser Epoche war Bischof Bussos Neffe, der Humanist Joachim I. (1514-1588) , Geheimer Rat Kardinal Albrechts und – nach seinem Konfessionswechsel – der brandenburgischen und braunschweigischen Landes­herren. Sein Studium in Wittenberg 1534-1538   brachte ihn in Verbindung mit Luther, was die Pläne des bischöflichen Onkels durchkreuzte, ihm die Aussicht auf seine Nachfolge zu öffnen.

Ohne Rücksicht auf weltliche Vorteile bekannte sich Joachim 1547 öffentlich zur Reformation. Nach  der Schlacht bei Mühlberg verhandelte er mit Karl V. und Alba in Augsburg als Wortführer der magdeburgischen Protestanten, ver­weigerte – obgleich die evangelische Sache fast verloren schien – die Annahme des Interims, der kaiserlichen Religionsformel, und riss die magdeburgische Land­schaft zu deren Verwerfung mit. Eine entscheidende Aufgabe erblickte er in der Organisation der ungeordneten kirchlichen Zustände. Um das Labyrinth religiöser Missverständnisse zu entwirren, ließ er zusammen mit seinem Schwager einen eigenen Katechismus für Geistliche und Lehrer auf den Territorien seines Geschlechts schreiben und von den führenden Theologen seiner Zeit bestätigen, das „Alvenslebensche Glaubensbekenntnis“ von 1566, das fortan in diesem Bereich der neuen Lehre als Grundlage diente.

Dem evangelischen Patronatsherrn fielen Aufgaben zu, die bisher durch die Kirche erfüllt worden waren. Auf den Alvenslebenschen Hauptgütern wurden Hospitäler, Armenhäuser, Altersheime, Volks- und Lateinschulen begründet, ferner wissen­schaftliche Kirchenbibliotheken für Pfarrer, Richter und Lehrer. Dazu traten soziale Einrichtungen, periodische Spenden und Volksspeisungen wie die Achatiusspende in Hundisburg und die ludicaspende in Calbe, die sich über Jahrhunderte erhielten.

In den entscheidenden Jahren um die Jahrhundertmitte kam es nach Aussterben der Roten Alvensleben 1554 zur Teilung ihres Besitzes unter die beiden über­lebenden Linien. Joachim bewohnte seitdem seinen Anteil der Burg Erxleben und hier entfaltete sich seine Wirksamkeit, die ihm, als Vorbild des universal gebildeten Edelmannes, die Bezeichnung eines „miraculum Saxoniae“ eintrug. Als Bauherr und Förderer von Kunst und Wissenschaft, als Verfasser gelehrter Schriften, als Hauptbegründer der noch bestehenden Alvenslebenschen Lehnsbibliothek, hinter­ließ er, bezeichnend für seine Generation, ein reich dokumentiertes geistiges Erbe. Diese Interessen teilte er mit Herzog Julius von Braunschweig, dem Begründer der Universität Helmstedt, zu dessen Ratgebern er zählte. Im nahen Helmstedt lehrten zu seiner Zeit Männer wie Giordano Bruno und später Caselius. Die Beziehungen zur Helmstedter Gelehrtenrepublik blieben seit dieser Zeit eng.

Joachim errichtete die Burg Eichenbarleben sowie die Hauptflügel und Wirt­schaftsgebäude auf den Schlössern Alvensleben und Erxleben. Als Auftraggeber sah er sich von seinem älteren Bruder Ludolf X., dem magdeburgischen Ober­hofmeister auf Hundisburg (1511-1596), noch übertroffen, der mehrere Burgen und Schlösser neu erstehen ließ. Ludolf war es, der 1573 von der durch Schulden bedrängten Stadt Magdeburg die Herrschaft Neugattersleben erwarb. Mit den ihnen verschwägerten Münchhausen, Klencke, Saldern, Schulenburg, Asseburg, Veltheim und Bartensleben gehörten die Alvensleben zu den Bauherren der nieder­sächsischen Renaissance, die ihren kunstgeschichtlichen Ruhm vorwiegend der Schlossarchitektur verdankt. Gerade die Alvenslebenschen Burgen sind auf Grund strategisch exponierter Lage nur in Ruinen oder nach Zerstörungen in vereinfachter Gestalt erhalten. Die bedeutendsten darunter waren Erxleben, Calbe, Gardelegen, Ro­gätz, Hundisburg, Randau, Eichenbarleben und Neugattersleben. Dies die Erblehen. Dazu traten aufwändige Umgestaltungen und Neubauten auf Pfandbesitzen wie Alvensleben, Calvörde, Klötze, Lüchow, Friedeburg an der Saale, der vormals bischöflich-halberstädtischen Residenz Langenstein am Harz und anderen mehr. Der Historiker Marcus Wagner schilderte die Familie damals als „arte ac Marte clara“. Landkarten der Zeit bezeichnen ein weites westelbisches Gebiet als „Baro­natus Alvenslebianus“.

Porträtmalerei, Grabmalskunst und Geschichtsschreibung erfuhren durch Joachim fruchtbare Antriebe. Ein Triptychon von 1564, das ihn und zwei seiner Gemahlinnen darstellt, Wulf Hammer zugeschrieben, ist das älteste und eindrucksvollste unter den Familienporträts. Es bekundet, dass man sich in Haltung und Tracht nach spanischem Vorbild stilisierte und das Religiöse betonte. Die Frauen trugen reichen Schmuck und folgten, in ihren Wappen­farben kostbar gewandet, der Zeitmode. Seitdem erhielten sich in den drei Haupt­stämmen der Familie die Bildnisse aller Generationen, von Männern wie Frauen, bis 1945, darunter manche von Meisterhand. Mit zwei historischen Werken, die in Joachims Auftrag verfasst wurden, begann eine Geschichtsschreibung, die seitdem ohne Unterbrechung bis in die Gegenwart fortgesetzt wird.

In großer Zahl halten auch Grabmonumente, eine Kunstentwicklung von sechshundert Jahren spiegelnd, die Erinnerung an das Geschlecht lebendig. Aus dem Zeitraum vom 14. bis zum 16. Jahrhundert stammen 45 Alvenslebensche Grabsteine mit ganzfigurigen Porträt­darstellungen und Votivreliefs, vielfach von feinster Arbeit. Die ältesten befinden sich, ab 1324, im altmärkischen Kloster Neuendorf. Seit 1550 trat das Wandepitaph der Renaissance nach venezianischen und niederländischen Vorbildern aus Braun­schweiger und Magdeburger Werkstätten hinzu. Kunstvolle Aufbauten mit ein­gelassenen Alabasterreliefs bilden den Hintergrund für lebensgroße Marmorstatuen der Stifter und ihrer Angehörigen, an deren Stelle in der Barockzeit gemalte Bildnisse traten. Nicht weniger als achtzehn solcher Grabmäler, darunter Joachims eigenes Epitaph, schmücken die Schlosskapelle in Erxleben. Ähnliche Gruppen existieren in der Nicolaikirche in Gardelegen wie in den ehemaligen Patronats­kirchen in Kalbe an der Milde, Hundisburg, Rogätz, Eichenbarleben und Neugattersleben. Im Ganzen sind 43 Alvenslebensche Epitaphien aus der Zeit von 1550-1788 bekannt und größtenteils noch erhalten.

Ahnenverehrung und Totenkult nahmen jetzt eine Bedeutung an, die sich nicht übergehen lässt. Zu den Formen der Totenehrung, die der Persönlichkeitskultus der Renaissance einführte, gehörten auch die „Leichenpredigten“, deren kultur­historische Bedeutung größer ist als ihr Quellenwert. Das waren dekorative Druck­werke, oftmals geschmückt mit gestochenen Bildnissen, Ahnentafeln, Darstellungen von Grabmälern und Trauerzeremonien. Sie enthielten Lebensläufe, Sermone, tragische Oden und philosophische Carmina. Ab 1555 bis zum Ende der Barockzeit, die jene Leichenpredigten am reichsten ausstattete, haben sich allein in der Familie Alvensleben solche von über hundert Mitgliedern erhalten. Jetzt begann man eben­falls, Särgen und Grüften repräsentative Gestalt zu geben und die Technik der Einbalsamierung zu vervollkommnen.

Joachims Generation bezeichnete einen Gipfel der Entwicklung. Seine Söhne ließen erkennen, dass Charakter und Wille an Geschlossenheit verloren hatten. Der älteste, Ludolf XIII., verfiel über den frühen Tod seiner geliebten Frau in Melancholie, verzichtete auf Erxleben und zog sich in die Waldeinsamkeit zurück, um frommen Meditationen zu leben. Als deren Frucht hinterließ er eine für die Hymnengeschichte wichtige Sammlung von Kirchenliedern und Gebeten. Seine 1593 beurkundete Absicht, in Erxleben für die Lehnsbibliothek ein eigenes Gebäude zu errichten, in Deutschland einer der frühesten Fälle, gelangte nicht mehr zur Ausführung. So entschloss man sich, die Bücher, da die Stadt Magdeburg Schwierigkeiten erhob, zu öffentlichem Gebrauch nach Stendal zu überführen, der damals größten Stadt Kurbrandenburgs. Dort wurde ein Freihaus erworben und ein Bibliothekar angestellt, der den Bestand planmäßig zu vermehren hatte, etwas für jene Zeit Besonderes. In der Portalinschrift von 1610 sah sich Joachim I. seiner Bibliotheksgründungen wegen mit den Ptolemäern verglichen. Die Überführung nach Stendal erwies sich als Segen, denn so entging der Bücherschatz der Zerstörung Erxlebens wie Magdeburgs im Dreißigjährigen Krieg. 1945 wiederholte sich die Rettung der Bibliothek aus Erxleben, wohin sie 1811 zurückgekehrt war.

Busse Clamor, Joachims anderer Sohn, Domherr zu Magdeburg, ein hoch­ gebildeter, sensibler Hypochonder, lebte ständig auf Reisen, starb unvermählt in Genua und wurde dort, wiewohl Protestant, vor dem Hochaltar der Dominikaner­kirche beigesetzt. ,,Die Domherrenwürde“, heißt es in der Allgemeinen Deutschen Biographie, ,,hatten die Alvensleben in Magdeburg und Halberstadt gleichsam erblich inne“. Als Oligarchien regierten die Domkapitel unter dem jeweiligen, von ihnen erwählten und vom Papst bestätigten geistlichen Oberhaupt ihre Hochstifter selbständig. So war es bis zur Reformation, mit der die klerikalen Funktionen fortfielen, während die politischen weiterbestanden, und auch späterhin bis zur Einverleibung der beiden vormals geistlichen, nunmehr verweltlichten Territorial­-Fürstentümer (1648-1680) in den brandenburg-preußischen Staat. Selbst dann noch blieb den evangelisch gewordenen Domkapiteln bis zu ihrer Auflösung unter Napoleon ein hohes Maß an Autonomie eingeräumt. Ein Kranz von Domherren­-Kurien umgab die Kathedralen.

Joachims jüngster Sohn, Gebhard Johann I., verschrieb sich der Astronomie und errichtete auf der Burg Eichenbarleben eine Sternwarte. Seine Frau, Gertraud v. Veltheim, wusste Medizinen zu destillieren. Ihre geheimnisvolle Heilpraxis erregte nicht weniger als die mystischen Neigungen ihres Mannes den Widerwillen der Geistlichkeit. Hätte ihre Stellung sie nicht davor bewahrt, sie wäre als Hexe verbrannt worden. Eine Erxleber Tochter erwürgte ihren Ehemann und wurde durch das Schwert gerichtet. Gleichzeitig tat man in Dingen der Repräsentation zu viel. Ging es bei Familienfesten hoch her, pflegte die Hausfrau laut zu beten, ,,dass Gott Hader, Unglück und Mord verhüten möge“. Auf der Hochzeit seiner Schwester Elisabeth mit August v. d. Asseburg 1576 wurde Busso, ein Sohn aus Neugatters­leben, von den Gastgebern im Streit erschlagen, was rechtsgeschichtlich bedeutsame Sühneverhandlungen nach sich zog. Eigentümliche Problematik kennzeichnet die Welt jener Jahrhundertwende. 1608 brach in Mitteldeutschland eine Finanzkrise aus, die Folge von Fehlspekulationen und Überspannung des Kredits. Oft führte die Übernahme sinnlos hoher Bürgschaften zum Ruin. Einzelne Häuser mussten zu neuen Verpfändungen schreiten, wie Calbe und Rogätz. Die großen branden­burgischen Pfandschaften Beeskow-Storkow und Cottbus (womit die Amtshaupt­mannschaft verbunden war), ab 1613 übernommen, gingen bis 1627 unter Kriegs­einwirkung wieder verloren: letzter hybrider Versuch, eine Territorialherrschaft zu begründen, der scheitern musste.

DER DREISSIGJÄHRIGE KRIEG

Der Dreißigjährige Krieg führte zur Zerstörung sämtlicher Burgen und zu fast vollständiger Entvölkerung der Dörfer. Im Dienst beider Bekenntnisse verwüsteten Truppen vieler Nationen das Land auf ununterbrochenen Durchzügen. Urkund­liche Berichte über Mord, Hunger, Seuchen, Quälereien, selbst Menschenfresserei kennzeichnen jenen grauenvollen Einbruch der Barbarei in einen Bereich hoher Kultur. Überlebende flüchteten in Wildnisse und halfen sich mit einer Art Partisanenkrieg.

Auf kurfürstlichen Befehl kam es 1632 zur Entfestigung der Burg Calbe, wodurch sie dem Verderben anheimfiel. Nur ein größeres Truppenaufgebot, das weder die Burgherren allein, noch der schwache Kurfürst Georg Wilhelm zu stellen vermochten, hätten Calbe gegen­über kaiserlichen, dänischen und schwedischen Armee-Abteilungen als Stützpunkt behaupten können. In fremder Hand aber wäre der starke Platz für die umliegende Altmark zur Gefahr geworden, zumal „sämtliche Kriegsvölker sich bemühten, dieses Haus zu besetzen, um von da aus die anliegenden Örter zu brandschatzen und Kontri­bution zu erpressen“. Mit dem Haus der Väter gaben die Nachfahren das Symbol des Ansehens und Zusammenhalts preis. Die Wohngebäude hätte man wieder instand setzen können, was jedoch unterblieb, da die Teilhaber sich entschlossen, außerhalb der Burg Wirtschaftshöfe und Absteigequartiere zu begründen. Die Zerstörung von Hauptschlössern wie Calbe und Gardelegen­-Isenschnibbe (1784) erfolgte nicht durch Feindeinwirkung, sondern durch eigene Schuld.

Rogätz hatte bitterste Leiden zu erdulden. Insbesondere Gardelegen und Neu­gattersleben dienten Oberbefehlshabern beider Religionsparteien immer wieder als Hauptquartier. Der Randauer Herr verlor 1631 durch Brand das neu erbaute Schloss und bei der Zerstörung Magdeburgs seine Domherrenkurie mit Bibliothek. In Gustav Adolfs deutschem Itinerar wird die gastliche Burg Eichenbarleben, wo der Schwedenkönig mehrmals abstieg, als „ett vackert edelmans hus“ bezeichnet. Erxleben und anderen Familienbesitz ließ sich der schwedische Oberst Erasmus v. Platen, dem Haus verschwägert, durch Königin Christine als Lehen verschreiben und rettete das Land den rechtmäßigen Herren. Die einstmalige Blüte weiter Gebiete blieb für immer vernichtet. Nach dem Westfälischen Frieden zeigten sich Fürsten und Grundherren bestrebt, die verlassenen Bauernstellen nach Möglichkeit neu zu besetzen.

Noch nach Jahrhunderten, kann man sagen, litt die Altmark unter den Kriegs­folgen. Auf den guten Böden Magdeburgs hingegen hob sich der Wohlstand relativ schnell. Männer und Frauen, kraftvollere Gestalten als vor dem Krieg, bauten geistig wie materiell das Zerstörte wieder auf. Inschriften, den erneuerten Burgen eingefügt, zeugen von harten Erfahrungen. Drohende Mahnungen wurden an die Nachkommen gerichtet. Über dem Erxleber Hauptportal von 1682 steht zu lesen:

„1. Könige 9,  6-8. Werdet ihr euch von mir abwenden, ihr und eure Kinder, so will ich euch ausrotten von dem Land, das ich euch gegeben habe, und das Haus wird eingerissen werden, so dass alle, die vorübergehen, werden sich entsetzen“.

HOCHBAROCK

In Neugattersleben heilte Gebhard XXV. v. Alvensleben (1618-1681) , magde­burgischer, sächsischer und braunschweigischer Geheimer Rat, Schlosshauptmann von Moritzburg und Giebichenstein in Halle an der Saale, die Schäden des großen Krieges. In seinen Schriftwerken suchte er versinkendes Wissen für künftige Gene­rationen aufzubewahren. Seine menschlichen Qualitäten, diplomatische und wissenschaftliche Fähigkeiten verliehen ihm eine Ausnahmestellung. Neben anderen Namensträgern gehörte Gebhard zur „Fruchtbringenden Gesellschaft“, einer viel­ zitierten Vereinigung der manieristischen Epoche, die Gelehrtenwelt und Aristo­kratie verband. Was man zu fördern strebte, waren Kultur der Sprache, Form des schriftlichen Ausdrucks, Herzenshöflichkeit, hohes Streben, großer Stil in Haltung und Manieren, zumal die Lebensbedingungen immer noch hart und gefährlich waren. Gebhard und weiteren Angehörigen des Hauses begegnen wir beim Friedens­mahl 1650 in Nürnberg, als Gesandten zum Reichstag in Regensburg, am kaiser­lichen Hof oder anlässlich von Krönungsfeiern.

Gebhard erlebte 1680 das Aufgehen des Erzbistums in Kurbrandenburg. Auf Grund der Verträge von 1648 wusste sich die magdeburgische Ritterschaft dem Staat gegenüber eine freiere Stellung zu erhalten als der Adel in den hohenzollernschen Kerngebieten. Damit zusammenhängend trat ab 1680 eine Besitzkrise ein. Die brandenburgischen Kurfürsten suchten aufgrund begangener „Lehnsfehler“ so viele Lehngüter wie möglich einzuziehen. Neugattersleben erlitt Verluste, Rogätz und Burg Seedorf ließen sich retten. Gardelegen wäre verloren gegangen, hätte der Minister Eberhard v. Danckelmann, dem die Herrschaft bereits zugesprochen war, nicht aus Rechtsgründen großmütig verzichtet.

Seine geistigen Neigungen vererbte Gebhard beiden Söhnen, die Neugatters­leben nacheinander besaßen. Noch war es üblich, die männliche Jugend, von kultivierten Hofmeistern begleitet, auf deutschen wie ausländischen Universitäten studieren und an Höfen ausbilden zu lassen, sie auf langjährige Kavaliersreisen zu entsenden. Der feingebildete Domherr Carl August I. (1661-1697), hannoverscher Diplomat und Erzieher der Brüder Georgs I. von England, ging, protegiert durch Sophie von Hannover und Liselotte von Orléans, an den großen Höfen Westeuropas aus und ein. In vielen Sprachen mit einem internationalen Freundeskreise korrespondierend, stand er unter anderem mit Leibniz in einem Briefwechsel, den der Philosoph nach dem Tode des Domherrn mit dessen Bruder, dem Minister Johann Friedrich II. (1657-1728) auf Hundisburg, fortsetzte. Leibniz war auf den Gütern und Stadthäusern Johann Friedrichs häufig zu Gast und benutzte jahrzehntelang seine Bibliothek. An den „Origines Guelficae“ arbeitend, beschäftigte er sich gründlich mit den Alvensleben und äußerte als höflicher Mann 1695 die Überzeugung: ,,La description de cette famille, ayant esté si célèbre depuis long­ temps, seroit sans doute un des ornements de l’Histoire de l’Allemagne“.

Den damaligen Begriff des „homo universalis“ darstellend, wusste Johann Friedrich eine Lebensform auszubilden, wie sie nur auf Gipfeln der Kulturentwicklung mög­lich ist. Sein strahlendes Auge, das die Porträts wiedergeben, verrät eine großangelegte Natur. In höfischer Praxis und Truppenführung geschult, nach gründlichen Uni­versitätsstudien, eleganten Reisen und einer militärischen Aktion im Interesse Venedigs, war er anfangs als Gesandter, dann Minister des genialen Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig, später in gleichem Rang für König Friedrich I. in Preußen tätig. Nach dessen Ableben trat er zurück, um sich der ständischen Verwaltung wie seiner grundherrlichen Aufgaben anzunehmen und wissenschaft­lichen Neigungen zu leben. 1719 folgte er dem dringenden Ruf König Georgs I. von England, für den er bis zu seinem Tod 1728 als Staatsminister gewirkt hat. Des Königs zweite Gemahlin, die Herzogin von Kendal, und Adelheid Agnes v. d. Schulenburg, die Hundisburger Hausfrau, waren Geschwisterkinder.

Johann Friedrichs Schöpfungen, der Ausbau des Schlosses (1696-1702) und die prachtvollen Gärten in Hundisburg übertrafen, als Sehenswürdigkeiten oft ge­schildert, manche der landesherrlichen Residenzen Norddeutschlands. Herzog Anton Ulrich, der große Mittel, Materialien wie seinen Künstlerstab zur Verfügung stellte, und der Bauherr lieferten gemeinsam die Ideen für Bauten und Park. Ihre Ursache hatte diese großzügige Förderung in diplomatischen Verdiensten des Ministers. König Friedrich I. und der spätere Friedrich Wilhelm I., Königinnen von Preußen und Dänemark erschienen hier, Kurfürstin Sophie von Hannover und andere gekrönte Häupter, einige von ihnen öfter, auch zu längerem Aufenthalt. Welfen und Hohenzollern benutzten Erxleben und Hundisburg  hin und wieder als Reisequartiere. Johann Friedrich und seine Söhne ließen nicht ab, Kunstwerke und Bücher zu sammeln. Als der Minister starb, läuteten die Glocken von über hundert Patronatskirchen.

Umbauten und kunstvolle Gärten gaben um 1700 vielen Familiensitzen das Gepräge des Hochbarock, wenngleich in Hundisburg ein Höhepunkt erreicht war, der niemals überschritten werden sollte, weder in den Dimensionen noch im Wert künstlerischer Gestaltung. Polvitz bei Gardelegen, das  „altmärkische  Marly“, scheint unter den damaligen Neuschöpfungen eine der glücklichsten wie auch ungewöhnlichsten gewesen zu sein. Wenig später hatten Burg und Riesenschloss ihre Rolle ausgespielt. Nach 1780 kam es soweit, dass man aus Überdruss an mittelalter­lichen Bauwerken nicht allein die Haupttürme von Erxleben und der Isenschnibbe abbrach, sondern auch die Wohngebäude zum Teil durch moderne Herrenhäuser von spätbarock-klassizistischem Charakter ersetzte.

Seit dem Mittelalter bildete die ottonische Kaiserstadt Magdeburg, als Metropole des Erzbistums und  eine der größten wie reichsten Handelsstädte Deutschlands das Zentrum für wirtschaftliche und politische Geschäfte, den Ort, an dem man Niederlassungen unterhielt und Winterquartiere bezog. Im 16. Jahrhundert be­saßen die Alvensleben hier neben Domherrenkurien stattliche Wohnhäuser, die 1631 bis auf eines zerstört wurden. Es dauerte Jahrzehnte, bis jener Wiederaufbau vollendet war, der Magdeburg zur prächtigen Barockstadt und Preußens stärkster Festung werden ließ. Von der Wende des 18. Jahrhunderts ab besaßen hier sämtliche Linien wieder Stadthäuser, ,,das einzige Adelsgeschlecht“, wie es in Magde­burgs Annalen heißt, ,,das diese Gewohnheit nach dem Dreißigjährigen Kriege wieder aufnahm“. Der Minister Johann Friedrich unterhielt solcher Stadtpalais nicht weniger als drei: in Magdeburg, Braunschweig und Hannover. Wie einst unter den Erzbischöfen trug das gesellige Leben der zur Winterzeit in Magdeburg versammelten vornehmen Welt höfischen Charakter, was mit der Niederlage Preußens 1807 schlagartig ein Ende fand. Man wandte sich nach Berlin. Ein nicht unwesentlicher Teil des Daseins hat sich, mit der dramatischen Geschichte der Stadt verbunden, in den Mauern Magdeburgs abgespielt.

DAS 18. JAHRHUNDERT

Zur Zeit schärfster Ausprägung des Absolutismus (1717-1725) stand der Minister Johann Friedrich-Hundisburg an der Spitze einer Adelsfronde, die sich der Aufhebung des alten Lehnsverhältnisses durch die preußische Regierung widersetzte. Kaiser und Reichsfürsten suchten der Ritterschaft, wenn auch im Endeffekt ohne Erfolg, zu ihrem durch das Reichsgericht bestätigten Recht zu verhelfen. Preußen mobilisierte bereits gegen einen deshalb drohenden Reichskrieg. Das politische Testament Friedrich Wilhelms I. kennzeichnet, welche Bedeutung der König dem Widerstand beimaß. Nachdrücklich warnte er seinen Nachfolger vor bestimmten renitenten Familien, darunter den Schulenburg, Bismarck und Alvensleben. Ungebrochen behauptete sich das Selbständigkeitsbewusstsein und ein nicht geringer Rest praktischer Unabhängigkeit, nur dadurch zu erklären, dass im Gegensatz zu Frankreich die grundherrliche Sesshaftigkeit dem Hof- und Staatsdienst gegenüber Hauptsache blieb, begünstigt selbstverständlich durch die politische Dezentralisation. Dem Absolutismus waren auch in Preußen Grenzen gesetzt. Der Reichsgedanke blieb einzelstaatlichem Denken übergeordnet. Trotz aller Bindung an das angestammte Haus Brandenburg kam es mehrfach zu Span­nungen, die lange währten.

Diesmal war die Folge, dass die Burgherren von Hundisburg, Neugattersleben, Erxleben, Gardelegen und ihre Söhne 1719-1795 sich fast ausschließlich den Welfen zur Verfügung stellten. Die Häupter von drei Generationen folgten einander als hannoversch-englische Minister: Johann Friedrich, der Großvater, Rudolf Anton (1688-1737), der Sohn, und Johann Friedrich Carl (1714-1795) , der Enkel. Dieser letzte stand als Chef der deutschen Kanzlei in London unter König Georg III. an der Spitze der Regierung Hannovers. Auch die nachgeborenen Söhne bekleideten große Stellungen in Armee und Verwaltung. Hannovers Anziehungskraft beruhte nicht zuletzt darauf, dass es, mit dem zur Weltmacht aufsteigenden Großbritannien in Personalunion verbunden, als Erbland der Welfenkönige jede Förderung erfuhr. Andere Alvensleben traten in kaiserliche, sächsisch-polnische, württembergische, dänische, holländische Staats-, Kriegs- und Hofdienste. Erst das Prestige Friedrichs des Großen und die wachsende Bedeutung Preußens führten allmählich zur fast ausschließlichen Eingliederung in den Hohenzollernstaat, der jetzt, eine Staatsgesinnung entwickelnd, auch zu einer geistigen Macht wurde. Die Ziele Preußens und Hannover-Großbritanniens öffneten große Perspektiven. Lange Zeit hatten sich die Alvensleben in der brandenburgisch-preußischen Geschichte kaum vertreten gezeigt. Nun begann es wieder mit dem friderizianischen General Achaz Heinrich (1716-1777) und Graf Philipp Carl-Hundisburg (1745-1802) . Großer Herr des aus­gehenden Rokoko, wirkte er als Gesandter in Dresden, Paris und London, später als „Staats-, Kriegs- und Kabinettsminister“ in Berlin, wo die Akademie ihn, den Historiker und Kunstförderer, zum Mitglied ernannte. Er hinterließ, heißt es bei Wohlbrück, ,,den Ruhm eines der eifrigsten Patrioten, der gebildetsten Staats­männer und der edelsten, wohlwollendsten Menschen“. Drei Bildnisse Philipp Carls stammen von der Hand Anton Graffs.

Als die Franzosen im Siebenjährigen Krieg bis Gardelegen vordrangen, gelang es dem Oberhofmeister Friedrich August v. Alvensleben, mit dem Oberbefehlshaber Richelieu verhandelnd, die Altmark vor Schaden zu bewahren, um die er sich auch kolonisatorische Verdienste erwarb. Im 18. Jahrhundert wurden auf königlichen Befehl weite Sumpfgebiete trockengelegt, woran die Alvensleben als Grundherren beteiligt waren: der Drömling an Ohre und Aller, westlich von Gardelegen, die Milde-Niederungen und das Selensche Bruch bei Erxleben. Friedrich August gründete im Drömling ab 1770 um Kunrau neue Siedlungsdörfer und besetzte sie mit Kolonisten.

Noch 1767 bezeichnete Gercken, Herausgeber der ersten brandenburgischen Urkundensammlung, die Alvensleben als das „reichste Geschlecht der Provinz (Altmark und Herzogtum Magdeburg), das die größte Zahl von Rittersitzen innehat und unter den einstigen Ministerialgeschlechtern seinen Ursprung am weitesten zurückverfolgen kann“. An geschichtlicher Bedeutung wurden sie durch die ihnen überall benachbarten Schulenburg übertroffen, mit denen sie sich im Lauf der Jahrhunderte durch mehr als sechzig Ehen verbanden.

Nicht zuletzt durch die Auflösung von Kondominaten veranlasst, kam es gegen Ende des Jahrhunderts zur Gründung der Linien Schochwitz und Redekin, wie der neuen Häuser Calbe, Rogätz, Hundisburg, Randau und Woltersdorf.

Seit Leibniz‘ Tagen fanden die Anschauungen der Aufklärung, vermittelt durch Schriften englischer und französischer Philosophen, Eingang in den Häusern. Dazu traten, von August Hermann Francke und Zinzendorf vorgelebt, pietistische Ein­flüsse. Festverwurzelter Glaube blieb indes der tragende Grund. Aufklärung wie Pietismus trugen, wiewohl Gegensätze bildend, dazu bei, auf Besitzungen des Hauses lange vor den gesetzlichen Regelungen in Preußen mit der Bauernbefreiung zu beginnen, worin man eine geschichtliche Notwendigkeit erblickte.

Aufzeichnungen, Inventarien, die Qualität zahlreicher Bildnisse bezeugen das Kulturniveau im 18. Jahrhundert. Es zeigte sich nicht zuletzt im Gepräge ge­selliger Veranstaltungen. Parforce- und Treibjagden auf Hoch- und Niederwild folgten durch Jahrhunderte festlichen, traditionell bestimmten Formen. Wir hören von Wasserfesten auf den Seen bei Erxleben und Polvitz bei Gardelegen, von Liebhaberaufführungen in Gartensälen und auf Heckentheatern. Tanzte man, so geschah es ausschließlich in feierlich-eleganten Gruppentänzen. Festtafeln boten, worüber Zeugnisse vorliegen, einen erlesenen Anblick. Das Erxleber Silberservice zu achtzig Gedecken mit mannshohen Kandelabern lieh sich die Ritterschaft aus, waren Monarchen in Magdeburg zu empfangen. Musik bildete das tragende Element bei heiteren wie traurigen Feiern und die beliebteste Kunst zur Belebung jeder Geselligkeit, ob im geschlossenen Raum oder im Freien. Einzelheiten erfahren wir zumal über die musikalische Gestaltung von Trauerfeiern. Vorbild und Maßstab für Kammermusik gaben, vor 1714 unübertroffen, die welfischen und wettinischen Höfe. Zu festlichen Anlässen wurden Kompo­sitionen in Auftrag gegeben. In Neugattersleben und ähnlich sicher auch auf anderen Sitzen, bildeten Gerichtsbeamte und Dienerschaft Chor und Orchester, die zweimal wöchentlich Konzerte veranstalteten, bei denen die Herrschaft mitwirkte. Noten bezog man laufend aus Holland. Bis 1945 fanden in einigen Alvens­lebenschen Häusern musikalische Veranstaltungen statt, bei denen internationale Künstler mitwirkten. Doch nicht in ihrer Gesamtheit lebten sie auf so olympischer Höhe. Zu allen Zeiten gab es in ihrem Lebensstandard Unterschiede.

Ihre formale Erziehung dankten die Söhne nicht zuletzt den um 1700 gegründeten Ritterakademien, die zum Teil bis 1945 fortbestanden. An deren intellektueller Ausbildung, soweit sie im Hause stattfand, nahmen auch die Töchter teil. Für sie gab es außerdem evangelische Stiftsschulen. Kindern wurde Wissen nicht in trockener, sondern in unterhaltsamer Form vermittelt. Was man für sie als not­wendig betrachtete, lernten sie aus deutschen, französischen oder englischen Jugendwerken, die, von besten Kupferstechern illustriert, über Religion, Geschichte, Geographie, Kunst, schöne Literatur und Naturwissenschaften unterrichteten. Erxleben I bewahrte bis 1945 einen Schatz solcher Kinderbücher, deren Qualität uns mit Respekt erfüllt. Auch von Mädchen wurde viel verlangt. Sie mussten in vielen weiblichen Künsten erfahren sein, in Tanz, Gesang und Konversation, im Zeichnen und künstlerischen Handarbeiten. Ferner hielt man sie an, wenigstens ein Instrument zu beherrschen, Französisch und etwas Italienisch zu sprechen. Waren mehrere Töchter vorhanden, so erhielt jede wechselweise in Haus, Hof und Garten einen Wirtschaftszweig verantwortlich anvertraut. Sie hatten alle Kniffe und Künste eines großen Haushalts zu erlernen, die Verwaltung der Vorräte, die Behandlung des vielköpfigen Gesindes. Geistige Eleganz blieb ihnen ebenso wenig fremd wie das Alltägliche. Zum weiblichen Aufgabenkreise gehörte, zumal auf dem Lande, zu allen Zeiten die Pflege der Kranken. Gutsfrauen verwahrten die Hausapotheke, verstanden sich auf die ersten ärztlichen Hilfen und waren gewohnt, nicht nur in Familie und Belegschaft, sondern soweit Auge und Einfluss reichten, bei Not und Krankheit helfend einzugreifen, persönlich zu pflegen, Familien zu unterstützen und für die Wohlfahrtseinrichtungen auf den Gütern zu sorgen, die den öffentlichen voraus­ gingen: Spitäler, Siechen-, Witwen- und Waisenhäuser, später auch Kinderkrippen.

DAS ZEITALTER DER TECHNISCHEN REVOLUTION

Die Französische Revolution von 1789 blieb für Mitteldeutschland zunächst ohne direkte Folgen, leitete indes jene geschichtlichen Umwälzungen ein, deren Etappen der Zusammenbruch des Alten Reichs 1802, Preußens 1807, die Revolutionen 1830, 1848, 1918, Hitlers Machtergreifung 1933 und das Jahr 1945 markieren. Nach der Niederlage von 1807 gelangten die Alvenslebenschen Besitzungen größtenteils unter die Herrschaft Jerôme Bonapartes, der die preußischen Lehns­gesetze aufhob, was zu den ersten Verlusten an altem Grundbesitz führte. Hundis­burg geriet unter den Hammer. Der Burgherr war eben gestorben, die junge Witwe mit kleinen Kindern wusste sich nicht zu helfen. Es gab Fälle, in denen Güter – auf Grund allzu hoher Belastungen durch Aufstellung von Freiwilligen­-Formationen gegen die Fremdherrschaft auf eigene Kosten – nicht zu halten waren. Das Haus Zichtau, ein Zentrum des Widerstandes in der Altmark, brachte größte Opfer. Nach den Befreiungskriegen führten die Stein-Hardenbergschen Reformen zur Trennung von herrschaftlichem und bäuerlichem Grundeigentum. Selbstverwaltete Rittergüter entstanden. Mit der Zeit endeten auch die letzten Hoheitsbefugnisse: die Patrimonial­gerichtsbarkeit 1848, die Selbständigkeit der Gutsbezirke innerhalb der Kommunal­verwaltung erst nach 1918. Da nur aus Pflichten bestehend, blieben die Kirchen­patronate bis 1945 bestehen. Die Bildung von Fideikommissen, die den Inhaber in seinen Rechten beschränkten und die jüngeren Geschwister zu Verzichten zwangen, ersetzte den fortgefallenen Lehnsschutz und sicherte so ererbtes Grundeigentum den Nach­kommen. Sofern nicht fideikommissarisch erneut gebunden, waren die Güter freies Eigentum geworden, was bis 1860 zu vielen Veräußerungen führte. Vienau, Zichtau, Gardelegen-Isenschnibbe, Weteritz, Rogätz, Randau, Woltersdorf gelangten mehr oder weniger ohne Not zum Verkauf.

Die technische Revolution im 19. Jahrhundert, das ein neues Weltalter einleitete, führte zunehmend zu einer Auflösung der alten sozialen Strukturen. Die Aristokratien aller Länder des Kontinents stellten sich dem entgegen ohne zu erkennen, wohin die Zeit steuerte. Den neuen bürgerlichen Freiheiten entsprach ein Wegfall von Standesschranken, mit der Folge nicht nur in dieser Familie, dass der überkommene soziale Rang nicht mehr durchgehend gehalten werden konnte. Verfall des Traditionsbewusstseins und leichtes Überbordwerfen wichtiger Lebens- und Glaubensinhalte sind nicht zu übersehen. Andererseits gab es in der Mitte des 19. Jahrhunderts auch eine Gegenbewegung. Elementare innere Wandlungen auf Grund der religiösen Erweckung im evan­gelischen Norddeutschland nach den Befreiungskriegen und der Geist der klassischen Epoche Preußens in der ersten Jahrhunderthälfte prägten Charakter und Überzeugungen. Im Ganzen führte der heitere, bisweilen leichtsinnige Schwung des Familientemperaments aber ebenso zu Leistungen wie zu Extravaganzen und Rückschlägen. An dieser Wesensart übte der Volksmund von alters her wohlwollende Kritik. In einem altmärkischen Spruch heißt es generell:

,,Alvensleben is en goden Mann, De givt ut, wat he utgeven kann.“

Die hohe Zahl ausgezeichneter Vertreter und kraftvoller Originale, selbst in der außenpolitischen Verfallsperiode nach 1890, bewies jedoch, wieviel unveränderte Substanz sich dem Zeitgeist zum Trotz erhielt. Durch rationelle Wirtschaft und Kauf wie durch Heirat und Erb­schaft hob sich der Umfang des Landbesitzes von neuem. In dieser Epoche traten hinzu: Wittenmoor, Schollene, Oberhof-Ballen­stedt, Ostrometzko, Tankow und als wichtigste unter den sonstigen Neuerwerbungen: Sülldorf bei Magdeburg, Falkenberg (Kr. Lebus), Rodehlen (Kr. Rastenburg) und Glauchau (Kr. Culm). Abenteurergeist trieb manch jüngeren Sohn in andere Erdteile, in denen heute ein hoher Prozentsatz der Familie lebt.

Erst im 19. Jahrhundert verschmolz die Geschichte des Hauses mit der des Königreichs Preußen, das im Zeitraum von 1807 bis 1871 den Weg aus tiefster Erniedrigung über die Erschütterungen von 1830 und 1848 zum Zenit politischen Erfolges durchmaß. Als Typus des noch im hergebrachten Reichsdenken wurzelnden Grundherrn repräsentierte Graf Johann August Ernst auf Erxleben II (1758-1827) die Goethezeit; ein begabter, angesehener Mann von vornehmer Erscheinung, der über reiche wissenschaftliche Ausbildung verfügte. Sein freier, humaner Geist äußerte sich in heiterer Menschenfreundlichkeit, die ein Erbteil der Aufklärung war. Als Domdechant stand er an der Spitze der preußischen Landesregierung im früheren Fürstbistum Halberstadt. Nach dem Wiener Kongress berief ihn der Prinzregent Georg (IV.) von England zum Premierminister des Herzogtums Braunschweig und in seiner Stellvertretung zum Vormund der minderjährigen Herzogssöhne. In Preußen bekleidete er die Würden eines Landtagsmarschalls von Kurbrandenburg und eines Mitglieds des Staatsrats. Sein Sohn, Graf Albrecht (1794–1858), wurde preußischer Finanz- und Kabinetts­minister, Graf Friedrich Johann auf Erxleben I (1836-1913) kaiserlicher Bot­schafter. Wie es zum Bild des Zeitalters gehört, trat seit den Befreiungskriegen militärische Begabung in den Vordergrund. In der für heutige Begriffe relativ kleinen preußischen Armee um 1864 standen gleichzeitig fünf Generale Alvens­leben. Gustav (1803-1881) , Generaladjutant Wilhelms I., war Bismarcks militärischer Berater. Seinen Namen trug die „Alvenslebensche Militärkonvention“ von 1863, auf der Russlands Neutralität während der Kriege 1864-1871 basierte, in denen sich die Brüder Gustav und Constantin (1809-1892) , seit 1870 an der Spitze von Armeekorps, aus­zeichneten. Constantins bekanntester Sieg, Vionville (16. 8. 1870), lebt als letzte große Reiterschlacht in der Geschichte fort. Aus den Häusern Woltersdorf, Schochwitz und Eichenbarleben ging die Mehrzahl der weiteren Generale hervor. Die Liste der Söhne des Geschlechts, die auf den Schlachtfeldern den Tod fanden, ist lang. In einer vergleichenden Bestandsaufnahme zählt Theodor Fontane – Barde und Richter preußischer Geschlechter – die Alvensleben zu jenen Familien, die nicht nur ein­mal oder mehrfach, sondern allezeit geschichtlich hervortraten. Dennoch wurden die Stammtafeln 1865 nicht ohne Skepsis unter dem Motto veröffentlicht: ,,Denn es ist hier kein Unterschied: sie sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhms, den sie an Gott haben sollten“ (Römer 3, 23).

Dass man sich angesichts der Umschichtung des einstigen Agrarlandes zum Industrie­staat, in einer Periode allgemeinen Wettlaufs, bemühte wirtschaftlich auf der Höhe zu sein, ist nur natürlich. Zumal die Häuser Neugattersleben und Ostro­metzko verstanden es, durch Anlage von industriellen und gewerblichen Unter­nehmungen Wert und Finanzkraft ihrer Besitze zu erhöhen. Einige der Güter entwickelten sich zu landwirtschaftlichen Spitzenbetrieben. Durch England angeregt, erwachte Passion für die Zucht edler Pferde. Andererseits wurden überkommene Stiftungen und Wohlfahrtseinrichtungen großzügig vermehrt. Geistig wie materiell schufen und erhielten tatkräftige Patriarchen jene Fundamente, auf denen nach­folgende Generationen aufbauten. Dazu traten in jeder Generation von neuem Ein­fluss und Wirken der Frauen. In ihrer Mehrzahl setzten sie sich in der damals noch in Privathand liegenden Sozialfürsorge voll Herz und Selbstverleugnung ein: in jüngerer Zeit zumal Anna v. Veltheim in Neugattersleben und Ilse Gräfin v. Harden­berg in Erxleben bis 1945. Was sie taten, erinnert an geschichtliche Vorbilder.

Noch im Zeitalter sozialer Umwälzungen wurden dem Haus Ehrungen zuteil, auf die es in früheren Zeiten keinen Wert gelegt hatte. Sechs verschiedene Linien, Erxleben II, Hundisburg, Isenschnibbe, Erxleben I, Ostrometzko, Neugattersleben erhielten seit 1798 den preußischen Grafentitel, der in fünf Häusern wieder erloschen ist. Fünf Mitglieder zeichneten die Herrscher seit dem 18. Jahrhundert mit dem Hohen Orden vom Schwarzen Adler aus. Friedrich Wilhelm IV. erneuerte den Truchsess-Titel des Bistums Halberstadt für die Fideikommisherren auf Erxleben II. Dem Gesamt­haus wurde ein Präsentationsrecht zum Preußischen Herrenhaus, der „Ersten Kammer“, verliehen. Einen weiteren erblichen Sitz knüpfte der König an den Besitz von Ostrometzko.

DAS 20. JAHRHUNDERT

Eine geschichtliche Zäsur erster Ordnung trat mit dem Sturz der Monarchien 1918 ein. Trotz Abschaffung restlicher Vorrechte des Adels blieben diesem aber auch in der Republik noch Einflussmöglichkeiten, bedingt durch Vermögen und gesellschaftliche Stellung, soweit diese die folgenden Krisen überstanden. So fungierte Graf Bodo-Neugattersleben (1882-1960) als Präsident des Deutschen Herrenklubs, einer politischen Vereinigung, die sich als Repräsentanz der konservativen Oberschicht verstand. Die meist ähnlich geprägten Mitglieder der Familie sind nicht durch besondere Sympathie und aktiven Einsatz für die damals junge Demokratie hervorgetreten, andererseits haben diejenigen, die einen Eid auf die Republik zu leisten hatten, ihr loyal gedient. Ihnen lag vor allem an stabileren Verhältnissen im Land und der Abwehr des Marxismus. Die Gefahren, die vom Nationalsozialismus drohten, haben die wenigsten Mitglieder der Familie frühzeitig erahnt bzw. erkannt. Andere hatten in dieser Zeit weder das Ziel noch sahen sie die Möglichkeit, auf das Geschehen Einfluss zu nehmen. Manche resignierten. In Einzelfällen lässt sich nachvollziehen, wie sich die Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus ändern konnte, von anfänglich positiven Erwartungen über Ernüchterung und Enttäuschung bis hin zu Gegnerschaft. Von jenen, die sich aktiv mit dem Nationalsozialismus verbanden, erlangte Ludolf Hermann-Schochwitz (1901-1970) traurige Bekanntheit. Kurz vor Kriegsschluss gelang es Wichard-Tankow (1902-1982), als Wehrmachtsoffizier in Südtirol eine Gruppe prominenter Sonderhäftlinge aus der Hand der SS zu befreien.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 bedeutete die entschädigungslose Enteignung sämtlicher Be­sitzungen, die im sowjetbesetzten Mitteldeutschland und den abgetrennten Ostprovinzen lagen, für die Familie eine weitere epochale Zäsur. Die Eigentümerfamilien wurden ausgewiesen. Welchem Wechsel das Geschlecht im Lauf der Jahrhunderte auch immer unterworfen war, handelte es sich diesmal um das von Millionen geteilte Schicksal, die eigene Lebensbasis zerstört zu sehen und vom bisherigen Lebenskreis abgetrennt zu sein.

Der Existenzaufbau auf gewandelter Grundlage in den Nachkriegsjahren zeigt die ungebrochene Lebenskraft in der Familie, die sich seither vielfach und in unterschiedlichsten Berufen bewährt hat. Zusammengehörigkeit und bewusst gelebte Traditionen prägten die nun wieder regelmäßig stattfindenden Familientage. 1960 erschien das Buch „Alvenslebensche Burgen und Landsitze“ mit den Zeichnungen des holländischen Malers Anco Wigboldus (1900-1983), der zusammen mit Udo v. Alvensleben-Wittenmoor (1897-1962) unmittelbar vor dem Zweiten Weltkrieg 32 Häuser der Familie dokumentiert hatte.

Die Wiedervereinigung 1990 bot die ersehnte Möglichkeit einer Rückkehr in das Ursprungsgebiet der Familie. Infolge der verweigerten Rückgabe der alten Besitze gelang es Mitgliedern der Familie nur in Ausnahmefällen, sich land- und forstwirtschaftlich neu zu etablieren. Ihre geschichtliche Verbundenheit mit dem mitteldeutschen Raum und den Orten ihrer Herkunft unterstreicht die Familie seither durch kulturelle Initiativen. Sie hat die Alvenslebensche Lehnsbibliothek der Öffentlichkeit im Schloss Hundisburg zugänglich gemacht und unterstützt mit Hilfe der Alvenslebenschen Familienstiftung vornehmlich Restaurierungsmaßnahmen in ihren ehemaligen Schloss- und Patronatskirchen, Ausstellungen und die Arbeit von Historikern.

Die Kenntnis ihrer Vergangenheit und ihr geistiges Erbe ist ein Schatz, der der Familie auch in der Zukunft Orientierungshilfe geben kann. 

Auszug aus „Alvenslebensche Burgen und Landsitze“ von Udo v.  Alvensleben-Wittenmoor (1897-1962), Dortmund 1960, bearbeitet und ergänzt von Busso v.  Alvensleben-Wittenmoor