Gardelegen
Von 1378 bis 1857, also fast 500 Jahre war die Weiße Linie der Alvensleben im Besitz der ehemaligen Burg Isenschnibbe in Gardelegen. Ihre Grablege war zunächst das Kloster Neuendorf, seit der Reformationszeit die Nicolaikirche in Gardelegen. Dort befand sich im nördlichen Seitenflügel eine Begräbniskapelle mit darunter liegender Gruft. Diese ist möglicherweise schon in romanischer Zeit für die Burggrafenfamilie errichtet worden.
Wie Paul Pflanz (1931, S. 115) unter Verwendung einer Beschreibung von Theodor Rieseberg aus dem Jahr 1666 berichtet, hat man bis zum Jahr 1623 in der Begräbniskapelle bei jedem neuen Begräbnis ein Grab gegraben und ausgemauert und nach „geendigter Trauerzeit“ mit einem Grabstein zugedeckt. Weiter heißt es bei Pflanz:
Mit der Zeit war nun wohl der gesamte Fußboden hier so mit Grabsteinen belegt, und man fand kaum noch eine freie Stelle. Darum hat Wolf-Friedrich v. A. schon zu seinen Lebzeiten den Wunsch geäußert, dass unter der ganzen Kapelle ein „fein groß gewelbe“ gebaut würde, „auch deswegen 2000 Rthlr. absonderlich in ein Kästlein zusammen geleget und darneben Schrifftliche Verordnung wegen Seinem Begräbniß dabey geleget.“ Als er nun am 13. September 1623 gestorben war, haben seine Erben mit Wissen und Willen des Rates der Stadt Gardelegen und der Kirchenväter der Nicolaikirche den Platz des Alvenslebenschen Erbbegräbnis aufgegraben, den Sand daraus auf den Kirchhof schaffen lassen, die Särge, die sie darin noch gefunden, beiseite setzen und alle Gebeine von Menschen, die sonst noch darin lagen in einem großen Sarg von Eichenholz sammeln lassen. Nachdem dann der ganze Platz mit einem Gewölbe überwölbt, auch eine Treppe hinab gebauet war, ist mitten im Gewölbe ein tiefes großes Loch ausgemauert, dahinein ist der große Eichensarg voller Menschenknochen gesetzt und wieder zugemacht. Danach sind Lagerhölzer auf beiden Seiten gelegt und die übrigen Särge, die noch ganz waren, darauf gesetzt. Man scheint dabei die Särge geöffnet zu haben. Denn Rieseberg berichtet, Valentin von A. liege „in ein roth-Sammet-Kleidt im Sarcke, darin Er ao 1594 in der Kirche St. Marien vom Schlage gerührt worden“. Am 22. Oktober 1623 ist nun auch Wolf-Friedrich von A. in diesem neu erbauten Gewölbe beigesetzt neben seiner Ehefrau Anna geb. von Bredow, die ihm im Jahre 1615 im Tod vorangegangen war. Pfarrer Rieseberg hat ihm dabei die Leichenpredigt gehalten, die auch gedruckt ist.
Die letzte Beisetzung soll nach dem Kirchenbuch im Jahre 1788 stattgefunden haben. Als 1831 die Alvensleben ihren Wohnsitz von der Isenschnibbe nach Weteritz verlegten, wurde die Begräbniskapelle in eine Taufkapelle umgewandelt. Im Jahr 1868 veröffentlichte Hildebrandt eine Aufstellung der Grabsteine und Epitaphe in den Kreisen Salzwedel und Gardelegen. In ihr sind als Alvenslebensche Grabmäler in Gardelegen ein Stein an der Nordwand der St. Marienkirche sowie ein Epitaph und sechs Grabsteine in der St. Nicolaikirche aufgeführt. Letztere waren am Ende des linken Seitenschiffes in den Fußboden eingelassen, zwei davon allerdings mit der Rückseite nach oben, so dass sie nicht identifiziert und beschrieben werden konnten. Die vier sichtbaren Grabsteine wurden bereits von Christopherus Schultze (1668, S. 30/31) erwähnt. Später sind die im Fußboden befindlichen Grabplatten offenbar an der Nordwand der Kirche aufgestellt worden. Nachstehend sind diese Grabmäler in chronologischer Reihenfolge beschrieben.
Wappenstein für Werner II. v. Alvensleben von 1484, Nicolaikirche:
Er zeigt das Alvenslebensche Wappen mit Helmzier – ein „eindrucksvolles Werk der Ritztechnik“ (Udo v. Alvensleben) zum Gedenken an den Burgherrn der Isenschnibbe, Kurfürstlich Brandenburgischen Rat und Hofmarschall Werner II. v. Alvensleben (urkundlich erwähnt 1429-1472), Sohn von Gebhard XIV. v. Alvensleben (urk. 1393-1425). Die Inschrift enthält oben die Jahreszahl 1484 und unten die Worte: werner son gert fan alfeslefen. Ob der Stein sich schon immer in Gardelegen befunden hat oder erst später aus dem Kloster Neuendorf, wo keine Grabmäler der Weißen Linie mehr vorhanden sind, in die Nicolaikirche kam, ist ungeklärt. Möglicherweise handelt es sich um einen Baustein von der Burg Gardelegen oder einem Stadthaus, das den Alvensleben gehörte. Werner II. erhielt 1448 die Burg Gardelegen, die bis dahin nur Pfandbesitz war, von Kurfürst Friedrich II. Eisenzahn als erbliches Lehen.
Grabstein für Werner III. von Alvensleben (gest. um 1504), Marienkirche:
Hildebrandt (1868, S. 49) beschreibt ihn wie folgt:
Ein außen an der Nordseite aufgerichteter, anscheinend aus dem Ende des 16. Jahrhunderts herrührender, Grabstein ist bereits so verwittert, dass man von den die übliche Figur des Ritters zu beiden Seiten begleitenden Wappen nur noch mit Mühe die der Familien von Alvensleben, von Kotze oder Münchhausen, von Bartensleben und von der Schulenburg, – eine Inschrift aber gar nicht mehr erkennen kann.
Werner III. (erw. 1492-1503) war ein Sohn von Gebhard XVIII. v. Alvensleben (urk. 1457-1492) als Burgherr der Isenschnibbe, Pfandbesitzer von Klötze, Kurfürstlich Brandenburgischer Rat und Hofmarschall). Er erbte die Burg Gardelegen gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Dietrich, war verheiratet mit Christine v. Bülow, starb relativ früh und hinterließ als minderjährigen Sohn Gebhard XIX.. Warum sich dieser Stein an der Marienkirche und nicht in der Nicolaikirche befindet, ist unklar. Möglicherweise waren Beisetzungen von Mitgliedern der Familie von Alvensleben in der Nicolaikirche zu dieser Zeit noch nicht die Regel.
Grabstein für Gebhard XIX. v. Alvensleben (1491-1554), Nicolaikirche
Hildebrandt (1868, S. 48) beschreibt den Stein wie folgt:
Leichenstein Gebhard`s XIX. von Alvensleben, dessen geharnischte Figur sich auf demselben in erhabener Arbeit zeigt; auf dem Kopfe trägt er ein Barett, während der Helm zwischen seinen Füßen steht; die Linke ruht am Schwertgriff. In den Oberecken sind die Wappen derer von Alvensleben und von Bülow angebracht. Die oben links anfangende Umschrift lautet: An. Dni 1554 des mandages na. oculi. is vorscheden de erbar und erentfeste Gebhardt van alvensleve tho gardeleve dem godt genedigh und barmherzig sei. Die letzte Zeile steht auf der inneren Kante des erhabenen Randes auf der linken Seite; ebenda auf der rechten Seite liest man: SIN. OLDER. WAR 63. JAR.
Gebhard XIX. war nach dem Tode seines Onkels Dietrich wieder alleiniger Herr auf Burg Gardelegen. Bereits 1522 bekannte er sich zur Reformation. Zu Pfingsten 1522, ein Jahr nach dem Wormser Reichstag, gestattete er dem damals aus der Stadt vertriebenen und verfolgten späteren Reformator Gardelegens Bartholomäus Rieseberg die Abhaltung des ersten evangelischen Gottesdienstes in seiner Kirche in Weteritz – ein risikoreiches Unternehmen, da sein Landes- und Lehnsherr Kurfürst Joachim I. von Brandenburg weiter an der katholischen Lehre festhielt und die Reformation bekämpfte. Im Jahre 1519 heiratete Gebhard XIX. Sophia v. Arnim, einer Tochter des kurfürstlich brandenburgischen Rates Valentin v. Arnim auf Biesenthal und hatte mit ihr vier Söhne und drei Töchter. Von seinen Söhnen überlebte ihn nur der vierte Sohn Valentin I..
Grabsteine für Valentin I. v. Alvensleben (1529-1594) und seiner Gemahlin Anna, geb. v. Veltheim (1532-1565), Nicolaikirche
Bei Hildebrandt (1868, S. 48/49) findet sich folgende Beschreibung:
..der Ritter steht zur Linken, die Edeldame zur Rechten des Beschauers. In den oberen Ecken befinden sich die Wappen derer v. Alvensleben und v. Veltheim. Die Umschrift – oben links beginnend – lautet: ANO 1565 DE 29 JUN IST IN GOT ENTSCHLAFEN DI ERBARE VD VILTVGETSAE ANA VO VELTE VALTI VO ALVENSL… ELICHE HAUSFRAW ANO 15.. IST IN GOT VORSCHIDE DER ERVESTER VND ERBARER VALTIN VO ALVESLEVE. Unter der letzten Zeile steht auf dem innern Rande: GEBHARTES SELIGER SON. Ueber dem Kopf der Dame: IHRES ALTERS 33.
Neben dem obigen Grabstein befand sich ein sehr einfach gearbeiteter Grabstein für Valentin I. v. Alvensleben und Anna v. Veltheim – von Hildebrandt wie folgt beschrieben: … die Wappen der beiden Gatten – resp. V. V. A. und A. V. V. bezeichnet – schmücken die oberen Ecken. Die Inschrift – vertiefte lateinische große Buchstaben – lautet:
ANNO 1565 den 29 jvny ist in Got Entschlafen die erbar vnd viel-dvgentsame Anna von Velten Valtin von Alvensleve elige Havsfraw ihres alters 33 jarAnno _ _ _ _ _ ist in got verschiden der erent-vest vnd erbar Valtin von Alvensleve Gebharts: seligerson seines alters _ _ jar.
In beiden Steinen sind das Todesdatum und das Alter von Valentin nicht angegeben. Offenbar wurden sie noch zu seinen Lebzeiten angefertigt und man hat diese Daten nicht mehr nachgetragen, da ihm nach seinem Tode von seinen Söhnen ein sehr viel größeres Denkmal als Epitaph (siehe unten) gesetzt wurde. Valentin wurde von Wohlbrück (Bd. III, s. 69-81) wie folgt charakterisiert:
Später erwarb sich Valentin das Lob eines aufrichtigen Verehrers der Religion. Wenigstens gab er seinen Unterthanen in seiner Hochachtung gegenüber dem öffentlichen Gottesdienst dadurch ein gutes Beispiel, dass er keinen Sonntag oder Festtag versäumte, mit seinen Kindern und Hausgenossen, welche ihn paarweise begleiteten, in einer Art Procession den Gottesdienst zu besuchen. Reiten und Jagen machten seine Lieblingsvergnügungen aus, doch soll er auch den Wissenschaften geneigt, und besonders ein Freund der Geschichte, übrigens ein Biedermann von alter Treue und Glauben, von mildem Charakter und einfachen Sitten gewesen seyn. Seinem Hauswesen stand er als sehr guther Wirth vor, und seine Güter hinterließ er im besten Zustand. Er starb im 65. Jahre seines Alters am 8. Januar 1594.
Valentin dürfte der Ritter gewesen sein, der in der Sage die Wette um das vierte Tor in Gardelegen verlor. Allerdings ist nach Paul Pflanz (1938) und Edwin Nitter (1939, S. 57) der historische Kern dieser Sage, dass er das Recht an dem Tor dem Rat der Stadt für 100 Goldgulden verkaufte und nicht verwettete. Er heiratete 1555 Anna v. Veltheim aus Bartensleben, die junge Witwe von Friedrich X. v. Alvensleben aus Rogätz, dem letzten Alvensleben der Roten Linie. Aus dieser Ehe gingen fünf Söhne und eine Tochter hervor. In zweiter Ehe heiratete er 1578 Sophia v. Bortfeld. Die Ehe blieb kinderlos.
Das Epitaph für Valentin I. v. Alvensleben und seine Familie von 1597 bis 1945 in der Nicolaikirche, seit 1946 in der Marienkirche
Hierbei handelt es sich um ein oft gelobtes und ausführlich beschriebenes Kunstwerk von großer Bedeutung, geschaffen von den Braunschweiger Bildhauern Jürgen und Hans Röttger und von einem unbekannten Maler aus Gardelegen. Es überstand die Zerstörung der Nicolaikirche 1945 und wurde restauriert in die Marienkirche überführt. Im unteren Teil sind auf zwei Tafelbildern Valentin, seine beiden Frauen und seine Kinder dargestellt. Links Valentin und seine fünf Söhne, rechts Valentins erste Frau Anna v. Veltheim, seine zweite Frau Sophie v. Bortfeld, dann seine Tochter Sophie aus erster Ehe und seine Stieftochter Gertrud aus der Ehe Annas v. Veltheim mit Friedrich X. v. Alvensleben.
Heutiger Standort in der Marienkirche
Vorkriegsbild in der Nicolaikirche
Literatur:
- Christopherus Schultze: Auf- und Abnehmen der löblichen Stadt Gardelegen. Stendal 1668
- Siegmund Wilhelm Wohlbrück: Geschichtliche Nachrichten von dem Geschlecht von Alvensleben und dessen Gütern. Drei Bände, Berlin 1819-1829.
- Ad. M. Hildebrandt: Die Grabsteine und Epitaphien adeliger Personen in und bei den Kirchen der Altmark, Heft I. die Kreise Salzwedel und Gardelegen umfassend. Gardelegen 1868.
- Paul Pflanz: Das Grabmal Valentins von Alvensleben in der Nikolaikirche zu Gardelegen. „Lieb‘ Heimatland“. Monatsbeilage des Gardelegener Kreisanzeigers. 5. Jahrgang Nr 2, November 1929.
- Paul Pflanz: Das Erbbegräbnis der Familie von Alvensleben in der Nicolaikirche zu Gardelegen. Montagsblatt. Wissenschaftliche Beilage der Magdeburgischen Zeitung, Nr. 15 vom 13. April 1931, S. 113-115, S. 126-127.
- P.J. Meier: Das Kunsthandwerk des Bildhauers in der Stadt Braunschweig seit der Reformation. Braunschweig 1936.
- Paul Pflanz: Die Gardeleger Stadtbefestigung. „Lieb‘ Heimatland“ Monatsbeilage des Gardelegener Kreisanzeigers. 13. Jahrgang, Nr. 3, Februar-März 1938.
- Edwin Nitter (Hrsg.): Die weißen Alvensleben auf der Burg Gardelegen. Sonderdruck aus „Heimatbuch Gardelegen“, Band 3, 1939, S. 19-27.
- Udo v. Alvensleben-Wittenmoor : Grabmäler der Herrn von Alvensleben. Unveröffentlichtes Manuskript 1957.
- Udo v. Alvensleben-Wittenmoor: Alvenslebensche Burgen und Landsitze. Dortmund 1960.
- Wally Schulz: Die Nikolaikirche in Gardelegen. Faltblatt, 2001
- Mathias Köhler: Die St. Marienkirche in Gardelegen. DKV-Kunstführer Nr. 621/4, München o.J.
- Inga Brinkmann: Grabdenkmäler, Grablegen und Begräbniswesen des lutherischen Adels – Adelige Funeralrepräsentation im Spannungsfeld von Kontinuität und Wandel im 16. und beginnenden 17. Jahrhundert. Berlin/München 2010 (Kunstwissenschaftliche Studien; 163), S. 216-2