Templersagen
(Friedrich v. Alvensleben)
Nachfolgend werden einige Templersagen wiedergegeben, in denen der letzte Meister des Templerordens in Deutschland und Slawien, Friedrich v. Alvensleben (urk. 1301-1312), die Hauptfigur darstellt. Sie wurden auf Grund mündlicher Überlieferungen zum ersten Mal von E. Handtmann (Neue Sagen der Mark Brandenburg. Berlin 1883) aufgeschrieben. Ihr Schauplatz ist die frühere Neumark, die heute zu Polen gehört.
In diesen Sagen werden Ereignisse, die lange vor den Lebzeiten Friedrichs und auch danach stattgefunden haben, auf ihn – als Inbegriff eines edlen Tempel- und Johanniterritters – projiziert und konzentriert. Wir begegnen hier dem Phänomen, dass eine historische Gestalt, über deren Wirken außer einigen Grundstücksgeschäften eigentlich nichts mehr bekannt ist, dennoch als Mythos über viele Jahrhunderte in Geschichten und Sagen fortlebt.
SAGEN ÜBER JOHANNISNACHT
Die letzte Dämmerung gerade versunken, ist es endlich Nacht über der Oder, doch der Mond steht hoch über den Zelliner Bergen. Sein fader Schein liegt auf der Landschaft und die weißen Mäntel einer Ritterschar leuchten über dem Hügel aus einem Meer von Königskerzen. Die Männer tragen die roten Kreuze des Templerordens und warten auf ihren Meister. Um Mitternacht steigt er aus seinem Sonnenburger Grabe und eilt zu den Seinen. Trifft er ein, so zieht er sein Schwert gegen Jerusalem und die Ritter sprengen davon ins Heilige Land und sind verschwunden, noch vor dem Licht des Johannistages. So geht die Sage über Friedrich von Alvensleben, den letzten Ordensmeister der Templer in dieser Region (nach Leisering).
Eine andere Version dieser Sage lautet wie folgt: In der Johannisnacht sieht noch heute der märkische Landmann die Templer sich versammeln; überall, wo eine Königskerze steht, steigt ein Templer aus seinem Grabe, Friedrich v. Alvensleben schwingt sein Schwert, und unter seiner Führung jagen sie dem Heiligen Lande zu, bis der Aufgang der Sonne sie in ihre Gräber zurückscheucht. Ein halbes Jahrtausend ist dahingerauscht, unvergessen aber sind in der Mark Brandenburg Friedrich v. Alvensleben und der Templer rotes Kreuz (Hesekiel, S.352).
Zellin (polnisch: Czelin) liegt am östlichen Oderufer, nordwestlich von Küstrin.
Quellen:
- Peter Leisering: Tempelritter in der Mark. In: Die Mark Brandenburg, Heft 16 (1994) – Ritterorden und Ordensritter in der Mark Brandenburg.
- Ludovica Hesekiel: Templer und Johanniter. Roman, Hamburg, 1931, S.352.
DER KAMPF MIT DEM KREBS VON MOHRIN
Die Stadt Mohrin ist durch den großen Krebs bekannt geworden, der der Sage nach auf dem Grunde des Mohriner Sees angekettet liegt. Der Krebs, so berichtet man, rüttelt zuweilen gewaltig an seinen schmiedeeisernen Ketten und will sich befreien. Dann heult, braust und tost der See, und es entsteht ein Sturm und Unwetter, als wolle die Stadt und die Welt untergehen. Sollte es dem Krebs einmal gelingen, sich zu befreien, erzählt man weiter, würde es in der Welt rückwärts gehen, und alle Errungenschaften der Neuzeit, an denen ja auch Mohrin seinen Anteil besitzt, gingen wieder verloren. Hoffen wir, dass der rückwärts schreitende Krebs sich nicht von seinen Ketten befreit.
Der Sage nach soll dieser Krebs einmal an der Seite der Heiden gegen die Ordensritter gekämpft und alle ihre Angriffe erfolgreich abgeschlagen haben. Schon wollte das Ritterheer unter Führung von Friedrich von Alvensleben den Rückzug antreten, als ein alter Templer-Komtur sich anbot, den Krebs mit Hilfe einer Reliquie, eines heiligen eisernen Ringes und einer goldenen Kette zu fesseln und auf diese Weise kampfunfähig zu machen. Mutig näherte sich der Komtur dem Ungeheuer und warf die Kette über seine Scheren, als es sich wutschnaubend auf ihn werfen wollte. Doch von der Wundermacht des Ringes gebannt, sank es kraftlos zurück und verschwand in den Fluten des Mohriner Sees. So sehr er an der goldenen Kette mit dem Ring zerrte, der Komtur hielt sie fest umklammert und damit den Krebs an den Grund des Sees gefesselt.
Als die Wenden sahen, dass ihr Kampfgefährte auf diese Weise ausgeschaltet war, packte sie großes Entsetzen und bald hatten die Kreuzritter das flüchtige Heidenheer besiegt. Nach der Schlacht fand man den Komtur tot, aber die Kette immer noch fest in den Händen haltend, am Seeufer. Seine Ordensbrüder begruben ihn dort und errichteten über seiner Gruft die Kreuzkirche, zu deren Füßen allmählich die Stadt Mohrin entstand. Nach einer anderen Version der Sage (van Vleuten) soll es sogar Friedrich von Alvensleben selbst gewesen sein, der den Krebs gebändigt und dessen Opfertod den Sieg gegen die Heiden ermöglicht hat.
Quellen:
- E. Handtmann: Neue Sagen aus der Mark Brandenburg. Berlin 1883, S. 177-184,
- Wilhelm Schwartz: Sagen und alte Geschichten der Mark Brandenburg. 6. Auflage. Stuttgart und Berlin 1914, S. 124
- F. van Vleuten: Märkische Sagen. Leipzig 1931, S. 101/102,
- Jörg Lüderitz: Neumärkische Spaziergänge. Verlag Bock u. Kübler, Berlin-Fürstenwalde-Woltersdorf 2000, S. 95-100
Die Kleinstadt Mohrin (polnisch: Moryn) liegt östlich der Oder zwischen Küstrin (polnisch: Kostrzyn) und Schwedt.
DAS HEIDENOPFER AM TANKOWER SEE
Die Templer hatten unter Führung ihres tapferen, gerechten und milden Führers, des Herrenmeisters Friedrich von Alvensleben, am Mohriner See unter dem wunderbaren Beistand Gottes ein großes Wendenheer in einer schweren und blutigen Schlacht völlig besiegt. Für immer schien die Macht der Heiden gebrochen und das neue fruchtbare Land den Deutschen wiedergewonnen zu sein. In der großen Massiner und Golliner Heide sammelten sich jedoch die Slaven, durch Zuzug verstärkt, noch einmal zum letzten entscheidenden Kampfe. Am östliche Rand der großen Heide, dort wo der fischreiche Tankower See lag, feierten die Slaven seit altersher ihren Göttern zur Ehren das fröhliche Fest der Sommersonnenwende. Diesen Ort hatten sie heute ausersehen zu blutigem Tanze mit den Christen. Hier sollte sich entscheiden, ob ihre alten Götter zukünftig in dem Lande rechts der Oder herrschen würden oder der Christengott.
Die Heiden waren voller Zuversicht, denn das Heer der Christen war nur klein und dazu von dem langen Marsch durch den großen unbekannten Wald in dieser heißen Jahreszeit fast zu Tode ermattet und erschöpft. Aber das Kriegsglück wandte sich abermals den Templern zu. Die Heidenschar wurde völlig geschlagen und der Rest, welcher trotz der Aussichtslosigkeit auf Erfolg erbittert weiter kämpfte, erbarmungslos in die Fluten des Tankower Sees getrieben.
Die Frauen und Kinder im Heidenlager hatten einen anderen Ausgang des Kampfes erwartet, daher hatten sie zu lange mit der Flucht gezaudert und waren von einer kleinen Abteilung des Christenheeres plötzlich eingeschlossen worden. Sie verlangten, zu dem Führer der Christen gebracht zu werden. Friedrich von Alvensleben, der stets ein Freund der Verlassenen und Elenden gewesen, erklärte sich sogleich bereit, eine Abordnung von ihnen zu empfangen.
Die Wenden sandten zwölf schöne, kluge und verständige Jungfrauen zu dem Herrenmeister. Die baten in bewegten Worten um Leben und Freiheit. Als nun Friedrich von Alvensleben mit seinen Ordensrittern Beratung abhielt, erklärten sich auch fast alle seiner Mitkämpfer bereit, gegen die Frauen, Kinder und Greise der besiegten Feinde christliche Gnade walten zu lassen. Das lag aber nicht in dem Sinne des finsteren Legaten, der im Auftrage des Papstes die Templer auf ihren Kriegszügen begleiten musste. Er wollte die Heiden in der Neumark ausgerottet wissen. Was half es, dass der milde Alvensleben und der größte Teil der Ritter des Templerordens fest blieben. Der Legat wusste durch seine Reden die Kampfgenossen der Ordensritter auf seine Seite zu bringen. Ja er drohte den Templern sogar mit dem päpstlichen Bannstrahle.
So erteilte man den grausamen Befehl, das Heidenlager zu zerstören und alles Lebende, Menschen und Vieh, mit dem Schwerte umzubringen. Die Schätze aber, welche man antreffen würde, sollte man der Kirche als Opfer darbringen. Als sich nun die Krieger dem Lager näherten, kamen ihnen wieder jene zwölf Jungfrauen unter Führung eines alten Heidenpriesters entgegen. Sie wollten hören, was beschlossen sei, und hofften ihren Angehörigen gute Botschaft bringen zu können. Als sie jedoch erfuhren, was man im christlichen Lager beschlossen, waren sie starr vor Entsetzen. Sie rangen ihre Hände und flehten zu ihren Göttern um Schutz und Hilfe. Plötzlich rauschten und brausten die Wellen des nahen Sees. Ein Sturmwind wälzte große Wasserwogen heran. Die 12 Jungfrauen eilten noch schnellen Laufes zum Lager der Ihrigen zu. Aber auch hier waren schon die mächtig schäumenden Wogen hereingebrochen. In kurzer Zeit verschlang zum Entsetzen und Erstaunen der Christen der wilde See das ganze Lager, dass nichts davon übrig blieb.
Auf den aufgeregten und wild rasenden Fluten des Sees sahen jedoch die Krieger der Deutschen eine weiße Gestalt, wie sie meinten, eine der 12 Jungfrauen, die Tochter des Priesters, noch lange hin und her tanzen. Bald lachte sie höhnisch und winkte die Christen herbei, bald hob sie drohend die Arme empor und stieß zornige Worte hervor. Als der Legat herbeigerufen wurde, um die sonderbare Erscheinung zu bannen, da wandelte sich bei der Jungfrau ganz Ansehen und Gestalt. Wie ein Wesen aus anderer Welt erhob sie sich riesengroß und rief dem hartherzigen Priester zu:
„Du winkst. Nun wohl ich gehe,
doch wo ich stehe,
soll stets in besten Mannesjahren
ein Christ hinab zur Tiefe fahren.“
Darauf verschwand die Gestalt, im Christenheere herrschte jedoch keine frohe Siegesstimmung. Finster und bleich schritt der päpstliche Legat einher. Zornig und vorwurfsvoll blickten ihn Alvensleben und seine Krieger an. Es wurde beschlossen, sogleich am nächsten Tage die Gegend zu verlassen und in die Heimat zu ziehen.
Am nächsten Morgen, noch ehe die Sonne aufging, erwachte der päpstliche Legat aus einem unruhevollen Schlaf. Er war matt und müde, wie nur am Abend zuvor. Als er das Lager verließ und in die Nähe des Sees kam, war es ihm, als winke gar freundlich und verlockend eine weiße Gestalt und lade ein zum Bade. Unablässig musste er dorthin starren, unwiderstehlich zog es ihn zum frischen Wasser. Er konnte auch nicht lange dem eigenen Wunsche, seinen ermüdeten Körper durch ein erfrischendes Bad neu zu beleben, widerstehen. So entledigte er sich seiner Kleidung und stieg in die kühle Flut. Kaum hatte er jedoch den Versuch gemacht, eine kleine Strecke zu schwimmen, so verließen ihn seine Kräfte und lautlos sank er in die Tiefe. Als die Christen nun einige Stunden später aufbrachen, suchte man den Legaten vergeblich im Lager. Nach kurzer Zeit fand man seine Leiche am Ufer des Sees.
Später haben Ansiedler hier eine Stadt gegründet. Während jedoch andere Städte in der Neumark volkreicher wurden und zu herrlichen Gemeinwesen heranblühten, teilte Tankow das Schicksal der Städte Berneuchen und Neuenburg. Die Bürger konnten hier nicht zu Reichtum und Wohlstand gelangen. Darum verließen sie den Ort, der noch vor dem dreißigjährigen Krieg zu einem kleinen Dorfe herabsank.Der Sage nach sollen besonders Männer, stark gesund, kriegstüchtig und in den besten Jahren immer wieder im Tankower See ertrunken sein. Das sei die Strafe dafür, dass einst vor nunmehr fast 1000 Jahren christliche Eroberer auf Anraten eines christlichen Priesters die Gesetze und Gebote christlicher Nächstenliebe und christliche Erbarmens vergaßen und selbst Kinder und Frauen in dem eroberten Heidenlande, wie einst die Israeliten die einheimische Bevölkerung im Lande Kanaan, abschlachten und vernichten wollten.
Quelle:
Paul Biens: Heimatklänge. Sagen und Bilder aus der Geschichte der Neumark. Herausgegeben von Jörg Lüderitz. Nachdruck der Erstauflage von 1909. Verlag Bock&Kübler, Berlin-Fürstenwalde-Woltersdorf, 1994, S. 19-23.
DER MÜLLER VOM TSCHERNOW
Als die Kreuzheere das Land an der unteren Warthe eroberten, vertrieben sie dort wie anderswo die Heiden. Da aber der Herrenmeister, Friedrich von Alvensleben, von vornherein darauf bedacht war, an der günstig gelegenen Stelle beim Zusammenfluss der Lenze und der Postum ein Schloss und eine Stadt (Sonnenburg, polnisch: Slonsk) zu errichten, befahl er, die dort gelegene Mühle und den Müller darin zu schonen, da man die Mühle und den Müller für die Versorgung der Siedler benötigte.
Zwar meinten viele Ritter, es tue nicht gut, einen Heiden das Korn der Christen anzuvertrauen und warfen dem edlen Alvensleben vor, er schone die Ungläubigen nur, weil er selbst einmal einen weißen Rock getragen und als Templer mit Ungläubigen Verkehr gepflogen habe.
Allein dieses Mal setzte der Herrenmeister seinen Willen durch: der Müller blieb unangefochten. Nur wurde seine Wohnung und Mühle aus dem Schloss- und Stadtgebiet ausgeschieden und dem Dorf Tschernow (südöstlich von Küstrin, südwestlich von Sonnenburg, polnisch: Czarnow) zugewiesen. Denn nimmer durfte ein Ungläubiger das Bürgerrecht der Christen haben; mit den Dörfern nahm man das von alters her nicht so genau.
Vierzig Jahre hat der Müller dort noch gelebt und gearbeitet. Friedrich von Alvensleben, der dem Müller stets wohl gewollt und nach Kräften beschützt hatte, war längst zur letzten Ruhe eingegangen. Doch aus Respekt vor dem verstorbenen Herrenmeister haben die Ritter den heidnischen Müller bis zu seinem Tode geduldet, obwohl sie lieber einen christlichen Müller aus dem Reiche gehabt hätten.
Auszug aus der Sage „Der Müller und der Teufel“ von E. Handtmann, 1883, S. 190-194
ZIELENZIG UND DER AUKENSEE BEI GLEISSEN
Friedrich von Alvensleben wollte die Herrschaft des Kreuzes Christi so weit ausbreiten, als ihm irgend möglich war. Er hatte im Norden der Warthe glücklich die Kreuze des Ordensgebietes der deutschen Ritter erreicht und bis dorthin die Heiden vernichtet. Nun zog er über die Ordensfeste Sonnenburg südwärts hinaus, und dem Lauf der Lenze und der Postum aufwärts folgend, eroberte er das Land Sternberg.
Nahe der Postumquelle stieß er plötzlich auf andere Feinde als diejenigen waren, welche er bisher im Wendenlande bekämpft. Das waren keine gedrungenen, flachsköpfigen Leute, welche mit Keulen und mit kurzen Schwertern gegen seine Krieger fochten. Vielmehr waren es hagere Männer mit dunklen Haaren und dunklen, funkelnden Augen, ihre Waffen krumme Säbel, Pfeil und Bogen. Ohnehin des vielen Streitens und Kriegens müde, sandte er, bevor sie miteinander handgemein wurden, Botschaft, zu fragen, wer sie wären. Die Boten brachten Nachricht zurück: „Jene Männer gehören zu einem großen Volk, welches bis weit nach Osten hin Wohnung hat. Sie lassen dir Freundschaft und gute Nachbarschaft entbieten, wollen dir die bis hierher gemachten Eroberungen ruhig gönnen. Doch auch du sollst sie nicht beunruhigen und ihre Herrschaft über die Bewohner des Landes, welches sie gleichfalls eben erobert, nicht stören.“
Solche Kunde war Friedrich von Alvensleben sehr willkommen. Er hatte sich bereits Sorgen gemacht, jene fremden Krieger möchten zu den Türken des Morgenlandes gehören, und mit diesen den Templern und Johannitern noch zu wohlbekannten Feinden aufs Neue anzubinden, verspürte er keine Neigung. Wehmütig seufzte er nur: “Hüben wie drüben die Schwarzen über die Weißen!“ Was musste ihn auch alles daran erinnern, dass er nicht mehr den weißen Templermantel, sondern das schwarze Johannitergewand trug!
So sandte er denn dem Führer der fremden Reiter gleichfalls Botschaft zu Friedens- und Freundschaftsgruß, stieß seine Lanze auf dem Hügel, an welchem das Kreuzheer lagerte, in den Boden und rief seinen Leuten zu: „Hier ist das Ziel, hier endet sich’s!“ Dann gebot er, an eben dieser Stifte eine Grenzfeste und Warte zu errichten, bei der sich ein Städtlein für fleißige Handwerker und Ackerbauer erheben sollte, wie’s Brauch in den Marken geworden war. Doch solcher Bau wollte nicht zustande kommen. Soviel die Werkleute bei Tag auf dem Berg bauen und schichten mochten, über Nacht war alles verschwunden.
Ob auch die Priester den Boden weihten und segneten, ob auch das ganze Heer fastete und Prozessionen aufstellte: des Morgens war nichts von dem zu sehen, was tags zuvor geschafft worden war. Nach drei Wochen beschlossen die Ritter, von der unnützen Mühe abzulassen. Sie waren es überdrüssig, den Spott der Heiden ferner anzuhören, welche ihnen zuriefen: «Ne zelenje», das ist «Keine Ansiedlung» und höhnend erzählten, sie hätten recht gut von vornherein gewusst, dass dieser Berg derartig von Quellen durchzogen sei, dass auf ihm Gebäude zu errichten und an seinen Seiten Äcker anzulegen nicht möglich wäre.
Indes nun die Bauleute zusammenräumten, geht ein Mönch aus dem Christenheer unten am Berg nach Osten spazieren und verirrt sich dabei im Rohr und Elsengestrüpp. Vergebens sucht er nach einem Ausgang. Er will, da es mit der zunehmenden Dunkelheit sehr kühl geworden, sein Gewand fester schnallen. Neues Unheil: die Zunge in der schon alten Gurtschnalle bricht aus und geht im Morast verloren. Noch tappt er eine Weile umher, dann sinkt er von Frost und Müdigkeit überwältigt zu Boden. Da, zu seinem Glück schlägt ein Hund an. Er rafft sich auf, dringt mit letzter Anspannung seiner Kräfte durch das dichte Gestrüpp, und dem Bellen des Hundes nachgehend erreicht er glücklich eine aus Zweigen und Moos gefertigte Hütte. In dieser saß bei flackerndem Feuer ein alter Heidenpriester, welcher ihn freundlich willkommen heißt, ihm gern das Gastrecht gewährt, ihm auch bereitwillig einen neuen Gurt mit fester Schnalle zum Festschürzen der Kleider gibt.
Sie essen und trinken miteinander und halten freundschaftliches Wechselgespräch. Jeder erzählt von seinem Volk, von den Göttern und von den Heiligen. Da klagt denn der Mönch, er und die Ritter hätten so gern auf dem Berg an der Grenze eine Christenstadt und ein Gotteshaus gehabt als ragende Warte in die Heidenwelt hinein. Aber hier am Ende des Landes scheine die Macht der Unterirdischen, der Heidengötter, zunächst noch zu groß zu sein, dass ein christlich Werk dagegen nicht aufkommen könne. Das werde sich wohl erst ändern, wenn nicht bloß im eignen Land, sondern auch jenseits der Grenze der Unglaube abgetan sei.
Da lacht der alte Heidenpriester ihm ins Gesicht: «Das wird sich nie ändern! Hier geht’s nicht nach eurem Willen, hier könnt ihr nur wohnen, wenn ihr werdet, wie wir waren.» «Da sei Gott vor!» ruft der Mönch voll Entsetzen, Doch der Heidenpriester lacht weiter, steckt ihm die Zunge heraus und klopft sich mit dem Zeigefinger der rechten Hand vor die Stirn. Dem Mönch wurde klar, dass sein Gastgeber während des eifrigen Gesprächs und des wechselseitigen Zutrinkens des guten zuviel getan hatte. Schon will er; des eignen Ruhebedürfnisses eingedenk, jenen bitten, dass sie sich zum Schlafen niederlegen wollen. Da lallt ihm der Heide, vom Sitz aufspringend, mit schwerer Zunge zu: «Komm und sieh selbst.» Er schreitet zur Tür der Hütte hinaus. Von dem Mönch ist vor der plötzlich rege gewordenen Neugier alle Müdigkeit gewichen, und rüstig folgt er seinem voraneilenden Gastgeber ins Dunkel. Welches Abenteuer wird es geben?
Sie schreiten lange kreuz und quer über Hügel, Talsenkungen, bald durch Sumpf und Moor. Endlich vernimmt der Mönch ein leises Rieseln wie von Wasser, das an Steinen herabplätschert. Indem steht sein Führer still und spricht ganz leise zu ihm: « Was ich dir hier zeigen werde, ist ein großes Geheimnis, selbst meinem eigenen Volke ist dasselbe verborgen geblieben. Nur in meinem Geschlecht hat es sich vom Vater auf den Sohn fortgeerbt, was für unser Volk und das Land hier ringsum von großer Wichtigkeit war. Meine Vorfahren und ich selbst sind die Priester der großen Göttin, der Mutter des Lebens, gewesen, die da Macht hat über das alles Leben der Erde erhaltende Wasser. Der Berg, auf dem ihr eine Feste bauen und eine Ackerstadt gründen wolltet, ist der großen Göttin heilig. Er ist von oben bis unten von Quelladern durchzogen, und seine Wasserfülle hält nicht nur die eignen Abhänge desselben, sie hält auch weit umher das Land so feucht, dass es nur als Wiese und Elfenbruch den Menschen zu Gebote steht. Mein Volk, die Wenden, nahmen das so hin, wie es ihnen die große Göttin, die Mutter des Lebens, darbot und fanden Wohlgefallen daran, hier in dieser Gegend vereinzelt als Hirten und Jäger zu leben. Nur einen schwachen Abfluss, notwendig, dass nicht in Überfülle des Wassers der Boden sauer und unbrauchbar werde, hatte das Wasser des heiligen Berges. Wir stehen hier vor diesem. Aus einer Steinmauer, die meine Vorfahren und ich sorgfältig in Ordnung gehalten haben, jeden vom Wasserdruck gelockerten Stein sofort wieder befestigend, träufelt der Überfluss des Wassers aus dem Berg hier zu Tal. Hier opferten wir der großen Göttin und wachten unter Gebeten, dass alles blieb, wie es war. Sieh, das ist das Geheimnis des Berges, das ich dir anvertraue, damit du wohl belehrt den Deinigen sagest, was sie hier zu tun haben. Nämlich dass sie, nachdem sie die Erbschaft meines besiegten Volkes angetreten haben, hier auch leben, wie die Unsrigen gelebt, nicht zusammen in einer Stadt, sondern einzeln als Hirten und als Jäger. Ich habe keinen Sohn mehr, dem ich das alte Geheimnis übergeben könnte. Mein Sohn ist unter den Schwertstreichen eurer Reiter gefallen. So sei du mein Erbe. Zieh in meine Hütte, in welche der große Gott dich geleitete ohne deinen und meinen Willen. Diene hier der Gottesmutter, von welcher du mir erzählt hast, nach eurer Weise, wie ich ihr nach der meinen gedient habe, und gib das Geheimnis immer nur an einen andern Einsiedler weiter. Möge es euch wohl ergehen, wie es unserm Volke hier lange Zeit wohl erging. Hüte dich, das Geheimnis andern mitzuteilen. Sie würden neugierig in großen Scharen herkommen, und leicht könnte an dem vor dir stehenden Geschicht der Steine etwas gelockert werden. Das Wasser dahinter übt gewaltigen Druck. Bricht’s einmal stärker auch nur kurze Zeit unbeobachtet durch, so ist es nie wieder zurückgekommen, Es entströmt dem Berg für immer und stürzt sich in die hinter uns befindliche Schlucht, bildet dort einen großen See und eilt unterhalb der Erde weiter nach Morgen zu einer andern Schlucht und von dieser aus gen Mitternacht in rasendem Lauf der Warthe zu. Dann aber wäre es nicht nur mit den Brüchen und Weiden hier herum vorbei, dann würde der Boden dort auf der Bergeshöhe so trocken, dass nicht einmal eure Weise, den Acker zu bestellen, von sonderlichem Nutzen wäre. »
Nachdem er so gesprochen, entzündete der alte Heide einen Fichtenzweig, und beim Schein der Flamme sah der Mönch eine gewaltige Steingrotte am Bergesabhang vor sich, aus welcher ein schwaches Rinnsal hernieder träufelte. Der Heide streute etwas in das zu ihren Füßen vorbei fließende Wasser und murmelte Gebetsworte. Unwillkürlich betete der Mönch mit ihm. Das Geheimnis, dessen Hüter er werden sollte, bedrückte ihm die Seele. Die wunderliche Art seines Gastgebers, der erst so geheimnisvoll tat und dann so offenherzig war, machte ihn verwirrt. Die Unruhe seiner Seele zu beschwichtigen, schlug er in dem Augenblick, wo der Heide den Fichtenzweig zur Erde warf und dieser ins Wasser sinkend erlosch, mit einem Stoßgebetlein zur Heiligen Jungfrau ein mächtiges Kreuz vor sich auf die Steinwand zu. Da war’s ihm, als zitterte der Boden und als fingen die Steine an, sich knirschend zu schieben. Ein scharfer Wasserstrahl schoss ihm angenehm kühlend an die glühende Stirn. Aber schon hatte ihn sein Gastfreund an der Hand ergriffen und geleitete ihn in völligem Schweigen rasch zuschreitend durchs Dunkel zur Hütte zurück. Dort angelangt, sprach er: «Jetzt ruhe noch ein wenig. Mit Tagesanbruch geleite ich dich so weit, dass du euer Lager wieder findest. Nach drei Tagen kehre wieder. Du wirst mich nicht mehr lebend finden. Begrabe mich unterhalb der geweihten Grotte, dass das heilige Nass über den Rasen meiner hügellosen Grabstätte hinab strömt, und warte weiter des von mir bisher gepflegten Dienstes.» In herzlichem Abschied trennten sich beide andern Morgen, nachdem der alte Heidenpriester seinen Gast noch so weit geleitet, dass dieser die Richtung nach dem Christenlager nicht mehr verfehlen konnte.
Schon während sie noch miteinander daher schritten, fiel dem Mönch auf, dass der Erdboden weit feuchter als am Nachmittag des vorhergehenden Tages war. Nachdem sie sich getrennt hatten und er allein weiter schritt, geriet er bald bis an die Knöchel ins Wasser an Stellen, über welche er gestern trocknen Fußes geschritten war. Noch eine kurze Strecke, da musste er schon bis an die Knie im Wasser waten. Und was war das?
Plötzlich vernimmt er hinter sich einen markerschütternden Schrei, und sich umblickend sieht er seinen Gastgeber, welcher mit zwei Speeren bewaffnet durch das hoch aufspritzende Wasser auf ihn zugelaufen kommt. Unwillkürlich bleibt er stehen. Da schlagen aus dem Mund des fast atemlosen Verfolgers die abgerissenen Worte an des Mönches Ohr: «Fremder, meine Zunge, das Geheimnis; Fremder, meine Zunge: du musst sterben!» Und ein Speer, von des rasenden Alten Hand geschleudert, saust über seinen Kopf hin. Jetzt erfasst den Mönch namenlose Angst, und er flieht so schnell es geht durch das immer höher steigende Wasser vor seinem Verfolger, der den zweiten Speer hochhaltend auf ihn zustrebt. Da kommt ihm der Gedanke: der Alte hat zweimal das Wort «Zunge» gerufen. Sollte er ihm zürnen, da er ohne Dank mit dem Gurt davongegangen sei, den jener ihm als Ersatz für seinen eignen gegeben, in welchem die Schnallenzunge ausgebrochen war? Hastig löst er den Gürtel. Doch bei der hierdurch veranlassten Zögerung ist sein Verfolger so nahe, dass er ihn fast mit dem Speere erreicht und denselben zückt, ihn niederzustechen. Da schleudert der Mönch mit der Wut und Kraft der Verzweiflung dem alten Heiden den Gürtel ins Gesicht.. Er hat, ohne solches zu wollen, jenen so getroffen, dass er seines Verfolgers ledig ist. Die aus solcher Nähe heftig geschleuderte Schnalle und deren Zunge ist dem Heidenpriester ins rechte Auge gefahren. Mit furchtbarem Weheruf sinkt derselbe rücklings ins Wasser und ist darin verschwunden, indes die seinem Fall folgenden Wogenkreise den jetzt ungefährlichen Speer auf den Mönch zu tragen. Der Mönch ergreift den Speer, ihn für das Weiterfliehen im Wasser als willkommene Stütze zu benutzen. Da rauscht’s plötzlich nochmals hinter ihm. Er glaubt, sein Verfolger tauche wieder auf, und hebt kampfbereit seinerseits die Waffe. Doch aufs neue und aufs höchste erstaunt über solch Wunderwerk lässt er ihn schnell sinken: dort, wo der Heidenpriester versank, hebt sich aus dem Wasser eine riesengroße graue Wildgans. Sie schlägt drohend mit ihren ungeheuren Flügeln, kreischt ganz ähnlich wie der Todesschrei des niedersinkenden Heidenpriesters erklungen, zu dreien Malen. Dann wendet sie sich und entflattert dorthin, wo nach des Mönches Erinnerung das Tal mit der Steingrotte gelegen, bei welchem er mit seinem Gastgeber in der Nacht gewesen und wohin ihn jener hatte bannen wollen. Mühsam arbeitete sich der Mönch, auf den Speer gestützt, durch das immer höher schwellende Wasser hindurch, bis ihm die Christen, welche von der Bergeshöhe herab voll Staunen auf diese plötzliche Überflutung blickten, wahrnahmen und ihm auf einem schnell aus Balken und Brettern zusammengefügten Floß entgegenfahrend Hilfe brachten. Sobald er ins Lager gelangt war, ließ er sich sofort vor den Herrenmeister führen und berichtete dem, was ihm in der Nacht und eben noch am Morgen widerfahren war.
Friedrich von Alvensleben erkannte in alledem sofort die gnädige Fügung des Himmels. Er ordnete an, dass das Heer nicht abziehen sollte, bis die Bauleute eine Burg auf dem Hügel errichtet hatten, und sprach froh: « So ist doch hier das Ziel und endet‘ sich ’s!» «O Zelenje!» klagten und jammerten freilich die Heiden, als sich neben der Burg eine Ansiedlung der Christen erhob, in deren Mitte der Mönch, welcher hier so viel Wundersames erfahren und erlebt hatte, nach dem Willen des Herrenmeisters sowohl wie des Landesbischofs von Lebus ein Heiligtum der wahrhaftigen Mutter des Lebens, nämlich der allerheiligsten Jungfrau, die der Welt den Fürsten des Lebens geschenkt, errichtet und fortan als Priester bediente.
Als die Abhänge des Berges sich unter den fleißigen Händen der Christen in Äcker und Gärten verwandelten, zogen sich die wenigen noch übrig gebliebenen Heiden nach dem Gestade des neuen Sees ins Rohr und Elsbruch zurück. Die Christen lenkten nicht gern ihre Schritte dorthin. Der See lag so düster da, und häufig war auf ihm eine riesengroße Wildgans zu sehen, welche unter lautem Geschrei gegen die Neusiedlung, d. i. gegen Zielenzig, hin drohend mit den Flügeln schlug. Nicht lange, so gesellten sich zu der einen großen Wildgans noch viele andere Wildgänse, deren düstere Gestalten und unheimliches Kreischen und Toben den See erst recht jedermann verleidete, zumal nachdem einige, die auf dem See fischen wollten, mit ihrem Kahn von plötzlichen Wirbelwinden erfasst und in die Tiefe gezogen wurden. Man raunte sich im Volk zu: die wilden Gänse seien die Seelen jener Heiden, welche beim Entstehen der christlichen Stadt Zielenzig zum neuen See entwichen seien und dort, heidnisch weiter lebend, hartnäckig sich gegen den wahren Glauben abgeschlossen hätten. In Unruhe und Zorn friedlos sterbend müssten sie, zu Wildgänsen verzaubert, den Tag des letzten Gerichtes erwarten, geschart um den letzten Heidenpriester, welcher frevelntlich einen Priester des wahren Gottes hatte verführen wollen. Auch meinte man, dort in der düsteren Seeschlucht, die nur zu oft ein Opfer forderte, sei für das Sternberger Land der Eingang zur Hölle.
Es ist wahr: der Aukensee, jetzt Ankensee genannt, mit seiner unergründlichen Tiefe, der Kälte seines Wassers, der engen Schlucht und dem kleinen vom Zielenziger Berg her zu ihm strömenden Wässerchen, hat etwas außergewöhnlich Unheimliches an sich. Man schauert unwillkürlich zusammen, tritt man an dieses dunkle, unter kurzen Windstößen dann und wann plötzlich wie aufkochende und dann wieder regungslose Gewässer.
Und doch müssen wir dankbar zu ihm niederblicken.
Denn wäre nicht vor dem Kreuz des Mönchs die rohe Steinwand der heidnischen Opferstätte zusammengestürzt, wäre der Aukensee nicht entstanden: wie hätte sich wohl das friedliche, gewerbfleissige Städtchen Zielenzig erheben können? Dass der See entstanden, brachte der Christenheit in der Mark vielen Segen. Allein es hat auch seine Not mit der Stadt und dem umliegenden Land. Des Heidenpriesters Warnung an den Mönch hat nur zu sehr in der Folgezeit ihre Bestätigung gefunden. Nicht bloß nach dem See ist viel Wasser entwichen. Auch alle anderen Gewässer, die von Wandern her auf der dem See entgegen gesetzten Seite des Berges bei Zielenzig vorbeiströmende Postum voran, eilen von der Sternberger Höhe abwärts in unglaublich raschem Lauf der Oder und Warthe zu. Große Mühe kostet es, Mühlwehre zu errichten und instand zu halten, größere als irgend sonst wo in der Mark, und Rieselanlagen zu machen gelang bisher auf der Höhe nicht. Wie sehr nötig aber wären dort solche! Der Acker, schöner, schwerer Boden, fast gleich dem des Odertals, in feuchten Sommern überaus ertragreich, leidet nur zu oft und zu sehr unter der Dürre, da ihm so gut wie jede nachhaltige Innenfeuchtigkeit fehlt. Und Wiesen? Meilenweit, bis hin nach Sonnenburg, müssen solche mühsam aufgesucht werden. Ein Glück, dass die Männer und Frauen im Sternberger Land mit einer Arbeitslust, wie sie kaum in der Welt wieder anzutreffen, gleich geboren werden und in solcher beständig bleiben bis ins Altenteil hinein. Wo’s so steht, kommt schon jeder zu seinem Ziel, und von allem kann’s heißen: Gut endet’s sich!
Quelle: Ingeborg Drewitz: Märkische Sagen. Berlin und die Mark Brandenburg. Rowohlt – Reinbek bei Hamburg 1995, S. 294-304 – nach Handtmann, 1883, S. 194-205
DAS KNÖDELLAND
Der Blutknödelbaum auf dem Hügel Golgatha überdauerte lange Zeit alles Unglück, welches über das heilige Land hinging. Doch war sein Geheimnis nur den Schülern St. Johannis bekannt und durch diese an die Ritter vom Tempel gekommen. Nur noch Peter von Amiens hatte außerordentlicherweise durch einen Engel Kunde von diesem Baume erhalten. Als derselbe nämlich auf dem Kreuzigungshügel betete, erschien ihm ein Engel, brach eine Frucht von dem Baume und belehrte ihn über dieser Frucht Bedeutung. Peter brachte dieselbe zu Papst Urban, welcher auf dem Konzil zu Clermont dem zuerst vor ihm niederknienden Ritter aus derselben fünf rote Tropfen nach der Zahl der Wunden Christi auf den Mantel sprengte: das war das siegspendende Kreuz der ersten Kreuzritter. Als aber Jerusalem aufs Neue in die Hände der Ungläubigen fiel, traf schweres Unheil auch den heiligen Baum. Ein Verräter, ein Renegat aus den Templern, gab dem Sultan Saladin Kunde von dem Baume, und Saladin ruhte nicht eher als bis er mit den anderen Christen auch den Orden vertrieben und den heiligen Baum durch Zaubermacht zersplittert hatte.
Ahnungsvoll jedoch hatte ein Komtur der Templer kurz vor dem Abzug aus der heiligen Stadt ein Reis vom Blutbaume gebrochen und mit sich in das Elend – man bezeichnete also das Ausland – genommen. Dieses Reis blieb während der ruhelosen Wanderschaft der Templer frisch und grün. Und als es endlich Friedrich von AIvensleben, der dem Orden zur Rettung auf Markgraf Waldemars Rat das Kleid der Johanniter anzog, nahe der neuen Ordensveste Sonnenburg in den Erdboden senkte, schlug es Wurzeln und erwuchs schnell zu einem starken Baume. Oft sah man an dieser Stätte, dort wo jetzt die Oberförsterei Limmritz (östlich von Sonnenburg, polnisch: Lemierzyce) erbaut ist, die alten Templer versammelt. Auf das ganze Ordensland strömte ein Segen von dem Blutknödelbaum aus. Der Westwind trug den Hauch vom heiligen Baume über dieses Land, welches man jetzt Kreis Oststernberg nennt, welches aber von alten Zeiten her und im Munde der Leute noch immer wegen der vielen und schönen dort wachsenden Knödelbäume den Namen „Knödelland“ trägt.
Erläuterung: Der Blutknödelbaum war aus dem Wurzelstock einer Wildbirne (=Knödelbaum) gewachsen, aus deren Stamm man das Kreuz Christi gezimmert hatte. Im Gegensatz zur normalen Wildbirne hatten die Früchte blutroten Saft und wurden deshalb Blutknödelbaum genannt.
Quelle: Rosemarie Pankow: Sagen und Geschichten aus dem Sternberger Land. Husum 1992. Nr. 2a, S. 12 – nach E. Handtmann: Neue Sagen aus der Mark Brandenburg. Berlin 1883, S.166-171